Was für Musik braucht man in einem Jahr wie diesem? Solche, bei der die Halsschlagader pocht und der ganze gerechte Zorn auf die Welt ein brodelndes Ventil bekommt. Solche, die einem sanft über den Kopf streicht und einem die Hoffnung einhaucht, dass es alles schon besser werden wird. Und solche, die einen in ihrer Euphorie einfach gnadenlos mitreißt. Zwischen diesen drei Fixpunkten ist in meinen Top Ten wenig zu finden, an den Endpunkten dafür umso mehr.
Etwa Sufjan Stevens, der kurz vor Ende des Jahres wie nebenbei einen so unfassbaren Song wie “Tonya Harding” veröffentlicht, dessen Schönheit und Würde und Größe alles andere 2017 überstrahlt. Wie er der gefallenen Eiskunstläufer-Heldin mit elektronisch vernebelten Singer/Songwriter-Girlanden ein mitfühlendes, trotzdem nie weichgezeichnetes Denkmal setzt, kann es mühelos mit den besten Songs seiner intimen Großtat “Carrie & Lowell” (2015) aufnehmen. In die gleiche Kerbe schlagen Tigers Jaw mit ihrem schlicht-schön aufbrausenden Liebeslied “Escape Plan” und Jason Isbell And The 400 Unit, denen in “If We Were Vampires” mit Zeilen wie “Maybe we’ll get 40 years together/ But one day I’ll be gone/ Or one day you’ll be gone” das seltene Kunststück gelingt, gleichsam romantische und doch schmerzhaft realistische Nashville-Poesie zu verströmen.
Dem gegenüber stehen wütende Polit-Peitschen wie der vor Zorn fast hysterische Gospel-Punk von Algiers‘ “Walk Like A Panther” – natürlich nur einer von zahlreichen spektakulären Songs auf “The Underside Of Power”, Body Counts erbarmungslose Abrechnung mit dem Rassenhass in den USA, “No Lives Matter”, A Perfect Circles Zivilisations-Abgesang “The Doomed”, und wenn man so will auch der Titeltrack von Meat Waves “The Incessant”, wobei dessen konzentrierter Noise-Punk natürlich eher persönlich als politisch zu verstehen ist.
Und dann sind da noch die Tracks, die einen 2017 auch aus dem tiefsten Loch herausziehen: Die Newcomer Gender Roles haben sich mit ihrer zwischen The Thermals, Pixies und Pup changierenden Vorabsingle “Plastic” bereits für eine glorreiche Zukunft qualifiziert. Korrupt sind die Hardcore-Punks, die ihre Landsmänner Kvelertak nicht sein wollten. Und da ich schon 2016 wie verrückt die Klapperschlange zu King Gizzard & The Lizard Wizard getanzt habe, bleibt mir 2017 “nur” noch das “Crumbling Castle”. Fast elf Minuten manische Psychrock-Beschwörung.