Als Kvelertak Anfang März “Stevnemøte Med Satan” spielen, ist das SO 36 restlos ausverkauft. Es ist das letzte Konzert, das ich 2020 besuchen sollte. In der Erinnerung scheint es länger her zu sein als neun Monate. Das ändert aber nichts daran, dass Kvelertak mit “Splid” ein tolles Album abgeliefert haben, auf dessen B-Seite sie mit “Stevnemøte Med Satan” fast schon einen Popsong versteckt haben. “Televised Mind” von Fontaines D.C. ist dagegen der Song von dem Album des Jahres. Erst Recht, weil zumindest ich 2020 kein Medium neben dem Internet so viel genutzt habe wie das Fernsehen in all seinen Formen. Als wären die 80er in doppelter Hinsicht zurückgekehrt.
Aus dieser Zeit stammt auch das erste Demo von Mr. Bungle. Zunächst war ich von ihrer Neueinspielung weniger begeistert, mit ihrem Streaming-Konzert an Halloween eroberten Patton & Co. mein Herz allerdings im Sturm. Wie viel Spaß die Ü-50-Jährigen hatten, wieder in ihr jugendliches Ich zu schlüpfen, war fantastisch. Und “Sudden Death” als letzter Song des Sets eine Wucht.
“Common Sense” ist etwas, das einem in vielen Diskussionen des Jahres fehlte. Der Song der Viagra Boys, auf einer EP veröffentlicht, zeigt eine neue Seite der Radautruppe aus Schweden, alleine derentwegen es 2021 wieder Konzerte geben muss. Die Hymne für alle, die dieses Jahr jemanden verloren haben – während ich diese Zeilen schreibe, sterben täglich mehr als 500 Menschen in Deutschland an einer Corona-Erkrankung – liefern die Flaming Lips mit “Mother Please Don’t Be Sad”. Ein Tränenzieher par excellence – und er tut so gut.
Roisin Murphy hingegen hat mit ihrem Album “Roisin Machin” das Clubalbum des Jahres veröffentlicht, “Simulation” mit seinem Stardust-Groove ist einer der besten Tracks darauf. Gelegenheiten dazu zu tanzen, gab es 2020 zwar nicht viele, aber zur Not wird das Wohnzimmer eben zum Dancefloor umgebaut. Der im wörtlichen Sinne bewegende Cumbia-Rock von Los Bitchos, deren “The Link Is About To Die” zusammen mit der Erinnerung an ihren fantastischen Auftritt in Groningen im Januar verlässlich für gute Laune sorgt, vervollständigt den Soundtrack dafür.
HipHop hatte 2020 ebenfalls ein gutes Jahr, eine der Überraschungen war Boldy James. Gleich drei Alben gingen dieses Jahr auf sein Konto – eines besser als das andere. “Run-Ins” stammt aus seiner Zusammenarbeit mit The Alchemist auf “The Price Of Tea In China”. The Notwist haben auch eine Verbindung zu HipHop, aber auf den ersten Songs ihres neuen Albums “Vertigo Days” sind sie mehr denn je von Krautrock inspiriert. Als Beispiel gibt es hier “Where You Find Me”. Bevor das Jahr zu gefällig austrudelt, erinnern Metz mit “A Boat To Drown In” daran, dass 2020 in erster Linie schmerzhaft war. Mehr als sieben Minuten, die zeigen, dass Noise und Pop sich nicht diametral gegenüberstehen müssen.