Den Anfang macht ein Mogwai-Song, der eigentlich den größten Ausreißer auf ihrem aktuellen Album “As The Love Continues” darstellt – eben weil die schottischen Post-Rocker in “Ritchie Sacramento” gefälliger klingen als sonst. Dafür funktioniert die vergleichsweise klassische Songstruktur in Kombination mit der typisch-raumfüllenden Klangkulisse und den wiederkehrenden Synthie-Patterns einfach unfassbar gut.
Der Opener des Cleopatrick-Debütalbums “Bummer” heißt “Victoria Park”, startet mit Feedback und legt die Noise-Gitarre auf Schleife, während Slothrusts energiegeladenes “Once More For The Ocean” aus “Parallel Timeline” dafür gesorgt hat, dass ich Autotune als Stilmittel für Alternative-Songs akzeptieren kann. Und das ist wirklich eine Leistung!
An der Stelle: Wer kein Netflix hat, organisiert sich jetzt bitte ganz schnell eine Möglichkeit, um Bo Burnhams Special “Inside” zu sehen. Im Wesentlichen gehts darin um das isolierte Leben während der Pandemie; Burnham, der den Musikfilm im Alleingang gedreht hat, stellt sich den Problemen einer ganzen Generation. “All Eyes On Me” ist dagegen die Verarbeitung seiner persönlichen Ängste: Reverb, ein dröhnender Synthesizer, Burnhams modulierte Stimme – “Got it? Good, now get inside”.
Wenn irgendjemand EDM und Indie-Gitarren verheiraten kann, dann ist es der niederländische Produzent Sander van Dijck, alias San Holo. Ja, der Name führte schon zu einem Rechtsstreit mit Disney, doch glücklicherweise ging der Medienriese leer aus. San Holos zweites Album “Bb U Ok?” schafft, was die frühen Coldplay-Alben für kleine Szeneclubs waren: Tanzbare Musik für die, die sonst neben der Tanzfläche stehen. Das emotionale “I Get Lonely Around People Too” fasst diese introvertierte Grundhaltung schon in seinem Titel zusammen. Derweil ist die Reunion von J Mascis, Lou Barlow und Murph bald 17 Jahre her! “Sweep It Into Space” ist ein tolles Dinosaur Jr.-Album und “I Ran Away” der Soundtrack für viele Roadtrips. Die Banddoku “Freakscene” ist auch zu empfehlen. Außerdem kommt die zweite Platte der Münsteraner Emo-Punks Shoreline im Februar raus. “Growth” wird politischer als der Vorgänger “Eat My Soul”, das macht schon die Privilegien-kritischen Vorabsingle “Distant” (zusammen mit Smile And Burn) deutlich.
The Notwists “Vertigo Days” ist in VISIONS 335 verdient zu einer Schönheit der Ausgabe geworden. “Exit Strategy” holt mit der ganzen Indietronic-Instrumentierung aus, schichtet elektronische Sequenzen, E-Gitarre und Achers Gesang übereinander. Und weil die Single “Chinatown” von Bleachers mit Featuregast Bruce Springsteen noch ins Jahr 2020 fiel, bin ich dankbar für The War On Drugs, die mit dem Titelsong zu “I Don’t Live Here Anymore” (zusammen mit Lucius) auf der flimmernden Retro-Rock-Welle in Richtung Sonnenuntergang reiten.
Der wichtigste deutschsprachige Song des Jahres darf die Liste schließen: Im gleichnamigen Piano-Meisterwerk aus “Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt” teilt Antilopen Gang-Rapper Danger Dan mit dem Grundgesetz gegen Vertreter der neuen Rechten aus.