Auch 2022 keine Lieblingssongs ohne die Viagra Boys. Was soll ich denn auch machen, wenn diese abgehalfterten Typen in Trainingsanzügen jedes Jahr neue Songs raushauen, die so grandios Post-Punk mit reichlich Groove, Synthies, Jazz und New Wave impfen. Stichwort Impfen: Die Schweden lassen ausnahmsweise die Hunde und fast auch die Shrimps in ihren Texten links liegen, um Impfgegnern und Aluhut-Trägern eins auszuwischen. Dabei tanzen sie wie immer am Rande des Wahnsinns und rücken mit “Cave World” noch etwas näher an den Abgrund. Kann man ihnen bei der ganzen Scheiße der letzten Jahre nicht übel nehmen.
Von meinem meistgehörten Album zum meist gehörten Song dieses Jahr: “Everything’s Electric”. Der kommt von der unwahrscheinlichen Kombo Liam Gallagher & Dave Grohl. Auch wenn ich Liam und seinen Eskapaden widerstehen will, kann man doch nur schwach werden, wenn der seit langem wieder so überlebensgroß und nach Oasis in Bestform klingt.
Bestes HipHop-Album dieses Jahr: “Cheat Codes” von Danger Mouse & Black Thought, die noch einen Song mit Rap-Legende MF Doom aufnehmen konnten, bevor dieser 2020 starb. “Belize” ist das Highlight der Platte für Oldschool-Fans, die sogar noch knapp vor Kendrick Lamar anzusiedeln ist.
Dieses Jahr durfte ich mich für unser Australien-Special in VISIONS 353 einem Haufen Bands aus dem Surf-Umfeld widmen, als ich zufälligerweise eh in Down Under war. Bis ins Northern Territory, wo auch Surf-Rock-Durchstarter King Stingray herkommen, bin ich zwar auf meinem Roadtrip quer durchs Land nicht gekommen, aber deren Songs wie das sehnsüchtige “Get Me Out” funktionierten auch an allen anderen Stränden. Apropos Down Under und Neuentdeckungen: Noise-Duo Party Dozen könnte der nächste heiße Scheiß aus Australien sein. Das weiß auch Nick Cave, der einen Mini-Gastauftritt in ihrem Song “Macca The Mutt” hat.
Ein bisschen Schummeln gehört dazu, ist schließlich meine Liste und Geburtstag habe ich heute auch, also: “This House Party Sucks” von Fidlar erschien eigentlich schon vor 11 Jahren auf Youtube, wurde aber jetzt nochmal offiziell auf der B-Side-Compilation “Don’t Fuck With Vol.1” veröffentlicht. Netter blast from the past in doppelter Hinsicht, als man sich noch mit miesen Partys, Billigfusel und dreckigem Lo-Fi-Punk die Nächte um die Ohren geschlagen hat. Wobei so schlecht war es dann doch nicht – vor allem letzteres. Auch ein bisschen geschummelt: Billy Nomates‘ zweites Album “Cacti” erscheint erst nächstes Jahr, aber ist für mich jetzt schon ein Kandidat für das beste Album des Jahres 2023. Mit der tanzbaren Mental-Health-Awareness-Hymne “Blue Bones (Deathwish)” gibt’s den stärksten Song von der sympathischen Multiinstrumentalistin schon vorab.
Eine der besten Livebands dieses Jahr, die ich neben Billy Nomates beim Reeperbahn Festival gesehen habe, sind Ditz. Die machen schwersten Noise-Punk. Wer nach den 45 Minuten in der Molotow Skybar noch was gespürt hat, hört wohl auch Einstürzende Neubauten zum Einschlafen. Allerdings habe ich immer noch keine Ahnung, was uns die Band in so kryptischen Songs wie “Ded Würst” sagen will – ist aber auch egal.
Ähnlich unsicher bin ich mir bei den Texten von Drug Church in ihrem wunderbar kaputten Liebeslied “Detective Lieutenant” – denn ist es das überhaupt? Ein Liebeslied? Wenn man Sänger Patrick Kindlon trauen will, deuten das Zeilen wie “I won’t toss away what I love” nämlich an – zumindest bis zum nächsten Song: “Don’t believe a thing/ From the man on stage.” Auch Jamie T hat auf “The Theory Of Whatever” ein zwiespältiges Verhältnis zur Liebe, denn während er mit der die Platte eine Trennung überwindet, schwelgt er dabei ordentlich in bittersüßer Nostalgie und zeigt, dass hinter der Schnodderigkeit mittlerweile ein großes Herz steckt. Hat ein bisschen gedauert damit warm zu werden, aber Zeilen wie “Have you ever had to walk away/ From something that’s cold light in the light of day?/ My town, my fault, I’m feeling lost in haze” sitzen einfach.