Meine Streamingplattform sagt mir, dass ich 2023 keinen Song (zumindest keinen aus diesem Jahr) so häufig gehört habe wie “Rice” von den Young Fathers. Das hat mich anfangs etwas überrascht, ergibt aber auch Sinn. Zum einen, weil er schon am 9. Januar erschien und ich so viel Zeit damit hatte, zum anderen, weil er in dieser ganzen Zeit nicht langweilig geworden ist. Auf bisher jedem Album haben die Schotten den einen großartigen Hit gehabt, der den Unterschied macht, auf dem neuen ist es dieser hier.
Vielleicht mag ich Bilderbuchs “Softpower” ja nur deswegen so sehr, weil er mich ein bisschen an das großartige “Let Forever Be” erinnert, das 1999 Noel Gallagher mit den Chemical Brothers zusammenbrachte. Obwohl das psychedelische Flair und der am Drum & Bass kratzende Schlagzeugbeat dabei Neuland für die Österreicher ist, passt die Ästhetik am Ende doch erstaunlich gut zu ihnen. Ich hoffe sehr, dass sie in diese Richtung vielleicht noch ein bisschen weiter herumprobieren.
Das Solo-Debüt von Grian Chatten war für mich als Fontaines D.C.-Skeptiker an vielen Stellen eine angenehme Überraschung, an keiner war diese aber angenehmer als gleich am Anfang mit dem Opener “The Score”. Der Song hat eine herrlich warme Indiefolk-Atmosphäre, innerhalb der die sanften Backing Vocals, Chattens Gesang und nicht zuletzt diese fantastische kleine Bassline wunderbar harmonieren.
Viele Rapper:innen haben in den letzten Jahren starke und wichtige Dinge zum Thema Polizeigewalt gesagt, die ersten vier Zeilen in “Mayors A Cop” gehören für mich in diese Kategorie. Genauso verhält es sich mit düsteren Hymnen an die Stadt New York, von denen dieser Song von Wiki, Mike und Produzent The Alchemist die nächste großartige ist.
Besser spät als nie: Geschrieben hat Neil Young “Powderfinger” schon in den Siebzigern, bisher gab es davon aber nur verschiedene Bandversionen zu hören. Die ursprüngliche Studioaufnahme, die Young komplett solo mit Akustikgitarre einspielte, erschien erst dieses Jahr offiziell als Teil des Archivalbums “Chrome Dreams”, ist in meinen Augen aber die weitaus stärkste.
Der Preis für das beste “hey!” in einem Song geht für mich 2023 an Captain Planet, obwohl oder gerade weil es inmitten der resignierten Stimmung auf “Halley” ein bisschen deplatziert wirkt. Und vielleicht sind auch diese kleine Vokalise das Zünglein an der Waage, das dieses Stück unter den vielen fantastischen auf dem neuen Album der Hamburger heraushebt.
“Blóðberg” von ist für mich am Ende des Jahres weniger ein Song als ein Moment. Explizit der am 12. Juni, als das Video dazu auf YouTube stand und klar war: Sigur Rós sind wieder voll da. Und das nicht nur ganz formell als Band mit einem neuen Album, sondern auch irgendwie als das Gefühl, das es in dieser Form die letzten zehn Jahre nicht mehr gab.
“Healmode” von Jeff Rosenstock war 2023 ziemlich sicher mein Wohlfühl-Song des Jahres, der die Düsternis zwar im Hinterkopf hat, aber mit ehrlicher Romantik von einem Moment der Stille handelt, dem man auch mal ohne doppelten Boden die schönen Seiten des Lebens abtrotzen kann.
Der letzte richtig geniale Song von Christine And The Queens war 2021 die Dancepop-Bombe “New Shapes” mit Charli XCX und Caroline Polachek, zwei Jahre später nimmt der Franzose sich Johann Pachelbels “Kanon in D-Dur” vor und macht daraus ein erhabenes und tiefgreifend intimes Stück Kammermusik-Pop. Das Ergebnis heißt “Full Of Life” und ist trotz des dreisten Klaus der beste von 20 Songs auf seinem neuen Album.
Mit “All The People” haben Shame dieses Jahr den potenziell perfekten Slowburner-Song für die finalen Feuerzeug-Momente bei ihren Konzerten geschrieben, weswegen er hier auch als letztes kommt. Könnte bei mir vielleicht auch zu Silvester kurz vor Mitternacht gespielt werden, da aber höchstens an vorletzter Stelle. Der Null-Uhr-Slot gehört traditionell “Don’t Look Back In Anger” von Oasis.