Fangen wir mal chronologisch an: Beim diesjährigen Groningen-Besuch im Rahmen des Eurosonic Noorderslag haben Kollege Jan Schwarzkamp und ich uns nicht nur die Zeit mit Eierballen und Snackbar-Exzessen im Albert Heijn vertrieben, auf den Wegen zu Venues und Plattenläden haben wir uns vor allem abwechselnd unsere Ohrwürmer vom Iedereen–Debüt um die Ohren gehauen: “GKO” und “Chauvi”. Beides Hits, die ohne Ende knallen.
Mein zugegeben nicht ganz einfaches Interview mit einem ziemlich übermüdeten Joe Talbot hatte ich zwar schon Ende 2023 geführt, auf dem Heftcover landeten Idles aber erst Ende Januar. Ihr Album “Tangk” macht es einem auch nicht einfach, dafür brechen sie mit sich selbst zu radikal. Aber: Ohne ihre kleine Radiohead-Werdung wäre vermutlich nicht so geniale Koop mit Lieblingsrapper Danny Brown herausgekommen. Ebenfalls radikal, aber vielleicht nicht ganz so mutig, weil sie nicht so vielen vor den Kopf stößt: die Sound-Revolution von Fontaines D.C. – von Post-Punk zu Breitwand-Alternative Rock. Das süßlich-jangelnde “Favourite” kann dabei nur ein Lieblingssong sein.
Den perfekten Urlaubssong lieferten Black Keys mit dem sonnigen “This Is Nowhere” schon im März. Da war ich nämlich tatsächlich in der Sonne, Südhalbkugel sei Dank. Notwendiges Übel: Der Flug. Das Fliegen gehört so überhaupt nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Aber wenn man schonmal am Flughafen ist, kann man es ja wie Amy Taylor in “Me And The Girls” halten: “Me and the girls are drunk at the airport”.
Taylor sorgte mit Amyl And The Sniffers auch für eines der Konzerthighlights dieses Jahr: In Köln waren sie sogar noch besser als bei dem sonst fantastischen Best Kept Secret Festival. Dort haben übrigens Osees und Viagra Boys alles und jeden in den Schatten gestellt. Kurz dahinter und wieder in Köln: Show Me The Body und High Vis. Erstere Show war wegen der EM leider weniger gut besucht, zweitere musste ebenfalls runterverlegt werden. Verdient hätten sie aber ausverkaufte Venues, denn beide Bands denken Hardcore kreativ weiter. Die einen mit Banjo und Breakdowns, die anderen mit Britpop. Wie gut das alles auch zusammen geht, zeigt die gemeinsame Single “Stomach”.
Wie mich die Garage-Weirdos Being Dead mit dem ebenso weirden “Van Goes” kriegen, verstehe ich auch nicht so ganz, dafür weiß ich genau, warum ich Pissed Jeans so liebe: Matt Korvettes verstörend-absurdes Anger Management auf “Half Divorced” zaubert mir immer noch ein debiles Grinsen ins Gesicht. “Junktime” über Reizüberflutung und Abstumpfung im digitalen Zeitalter tut am schönsten weh, auch weil seine Kollegen vermutlich ihre Instrumente im fast epischen Song zerstören. “Egal was passiert, deine Geschichte ist nach drei Tagen schon wieder Schnee von gestern. Nur Taylor Swift kann fünf Tage in den Nachrichten bleiben”, resümierte Korvette als erstaunlich aufgeschlossener Interviewpartner während seines 9-To-5-Jobs bei einer Versicherungsgesellschaft dazu.
Ein überraschend schönen Interview-Moment hatte ich auch mit Geordie Greep am Rande des Reeperbahn Festivals. Nachdem er mir 2022 noch bei einem ziemlich bizarren Gespräch Salsa-Versatzstücke vorgesungen hat, macht er jetzt tatsächlich Salsa. Irgendwie. Und noch viel mehr. Auf seinem grandiosen Solodebüt – und auch face to face – wirkt er nach der Auflösung von Black Midi unglaublich befreit. Mindestens genauso gut: Kim Gordons zweites Soloalbum. Anspieltipp: alles, aber vor allem “Bye Bye”. In diesem Sinne …