Röda, Steyr (16.05.)
Später am Abend fällt uns ein, dass wir ja noch ein Konzert spielen sollen, deswegen gehen wir uns die Hände waschen. Dann heißt es aber erst mal Bühne frei für unseren großartigen Support: The THE TRICHTER AND BOTANIK. Also, Gumbo und Toni.
Toni spielt dort Gitarre und singt. Und Gumbo spielt dort, warte mal… auch Gitarre. Und singt. Der Rest kommt vom Band, inklusive der Computerfrau Myra, die die Ansagen übernimmt, damit Toni und Gumbo sich auch ordentlich auf die Musik konzentrieren können. Das nette Set haben sie im Wohnzimmer geprobt und jetzt müssen sie raus, in die kalte Rock’n’Roll-Welt. Schick sind sie aber, auf alle Fälle: Weiße Anzüge, starke Frisuren. Ach, und Indiepopfame bringen sie auch mit: Gumbo war dabei, damals, bei den Hip Young Things, den Bielefelder Poppern. (Der Szenekenner rechnet nun nach, und, ja: Sie sehen unglaublich viel jünger aus. Als damals.) Außerdem tut etwas Wimperntusche und Heroinschick ihr übriges und Mädchen- sowie Knabenherzen dürften geflogen kommen.
Das Licht geht aus, im Saal, und im Röda warten viele fröhliche junge Zielgruppenmitglieder, als dann die erste Gitarrenwand über Steyr herein bricht: Creation lässt grüssen und der Geist guter alter Rideplatten weht enorm.
Dann sind wir dran – wir drücken uns schon zeitig hinter der Bühnen herum, denn wir wollen! Jetzt! Spielen! Hubi legt das offizielle Konzertintro ein: Von Polyphonic Spree, dieser Hit, ihr wisst schon – der, der 30 Minuten dauert und besser wirkt als Valium. Alter Mukkertrick: Erst alle sedieren, um dann ordentlich auf die Fresse geben zu können.
Wir legen uns die Arme um die Schultern, jeder freut sich, jeder hat Bier auf der Bühne und ein Handtuch: Nix kann mehr schief gehen. Also los: Dont give up steht oben auf der Setliste. Danach eine Stunde Best of Milespower, das meiste vom neuen Album, der Rest das beliebte Hitprogramm. Weil es uns Spaß macht, ganz großen Spaß sogar, hängen wir noch eine Coverversion dran: Yesterday Once More von den Carpenters. Zum allerletzten Schluss geben Tobi und Gilbert dann noch den Astronaut, zu zweit, mit Klavier und Gitarre. Und als Tobi im Text hängen bleibt, singt für ihn der komplette Saal weiter. Wow, denken wir, das sind die Momente, für die sich alles lohnt.
Glücklich stolpern wir an den Merch-Stand, wo schon interessante Gesprächspartner warten: Ein Mädchen sagt, sie hätte es ganz gut gefunden. Und dann fragt sie mich, wen ich den bei den Miles am besten finden würde. Naja, immer schön am Boden der Tatsachen bleiben. Im Verlauf der nächste Stunden soll die Party dann unglaubliche Höhepunkte erlebt haben. Ich bin sicher, dass das stimmt, mitverfolgen kann ich das zumindest bis zu dem Punkt,, an dem ich mir bei der Indie-DJ-Frau Nada Surf gewünscht habe, urplötzlich enorme Schlagseite verspürte und einen kleinen Ruhemoment einlegen wollte. Anscheinend habe ich mir dann doch noch die Schuhe ausgezogen. Aufziehen lassen musste ich mich nächstentags dann vom Hubi, der, lustiger Kerl, der er ist, meinen etwas unsicheren Gang nachspielte. Wer bin ich, haha.
Klassisches in-den-Armen-liegen gabs aber noch mit der Röda-Belegschaft und Katie und Sophie, die uns versprechen, nach Wien zu kommen. Home is where the heart is.
Rockhaus, Salzburg (17.05.)
Rockhouse, Name ist Programm: Ein Club, in den Fels gehauen. Oder, wie die Ortsansässigen sagen, in den Föis eini. Nach Ankunft und Hotelcheck – Drei Kreuz um die Ecke – gehen wir kurz Sightseeing machen. Prima Stadt, aber alle so schick und als ob sie nur neuen Klamottten trügen. Wir suchen nach einer Apotheke, um was gegen Tobis Halsschmerzen zu kriegen. Sängerleiden.
Gegenüber vom Hotel steht ein Schild, nein, ganze drei, drauf in großen Lettern “FLOHMARKT” . Ach, und das ist der traurigste Flohmarkt, den ich jemals gesehen habe: Ein Stand, ein einziger, und der gibt nicht viel her: Ein großer, lädierter Teddybär, ein nicht verkehrstaugliches Fahrrad und unbrauchbarer Kram. Der Standbetreiber tut mir leid, doch ich hab kein Geld, um ihm was abzukaufen. Überhaupt, denke ich, ist das die Subkultur Salzburgs? Wo sollen heute Abend die Indiekinder herkommen? Wo leben die in Salzburg? Vermutlich, tagsüber, hinter zugezogenen Vorhängen.
Nach dem Soundcheck kriegen wir Getränkekarten zugesteckt, da steht drauf: “Wolf” .”Ich heiße aber gar nicht Wolf”, sagt jemand. “Da tust du aber sehr gut dran, diesen Namen auf deiner Karte zu haben”, sagt da einer vom Haus mit sonorer Stimme, “denn mit ‘Wolf’ kriegst du hier alles.” Kurz danach kommt Wolf, der Clubbetreiber, denn auch vorbei. Er ist nett und tatsächlich THE MAN im Laden. THE WOMAN ist allerdings die Köchin, die ein starkes Menu zaubert und eine Runde Applaus dafür erntet.
Abends dann die Wucht in Tüten: Wir drehen ordentlich laut und haben Spaß. Die meisten Nummer klappen gut, lediglich die für heute umgestellte Setliste macht der halben Band Kopfzerbrechen: Ich denke, zuviel ruhige Songs, Ronny sagt, nee, genau richtig. Tja, touché, wer recht hat, wir die Zeit zeigen.
Salzburg machte n bisschen auf schüchtern, aber wir mögen sie trotzdem. Ja, und sie uns auch – zu guter letzt tanzen mindestens die ersten drei Reihen. Und nicht mehr nur der junge Junge im Nil-Shirt. Oh, wie kann man der Jugend erklären, dass es BÖSE ist, Kleidung mit solchen Aufdrucken zu tragen? Wofür werden Bücher wie “No Logo” geschrieben? Revolution gegen die totale Television.
Naja, es ist immer ein Zwiespalt, denn hinterher kauft er eine CD und ist niedlich. Ja, doch: Die Indiekinder sind gekommen, nachdem das Tageslicht weg war. Auch wenn die in Salzburg eine Semester mehr drauf haben als anderswo, so erscheint es uns.
Nach dem Konzert geht der Großteil zurück ins Hotel, ein Rest feiert noch etwas, als aber dann Lockenrock à la Thin Lizzy abgelöst wird von Räucherstäbchen und Goa-Aftershow-Party, machen sich auch die letzten auf den verregneten Nachhauseweg.
Flex, Wien (18.05.)
Tschüss, Salzburg. Schlafen können wir, wenn wir weg sind: Ich blinzle und sehe Wien. Die Strecke dazwischen ist dem Schlafbedürfnis zum Opfer gefallen. Super Stadt, darüber sind wir uns einig. Super auch, das Flex: The Make Up hab ich da mal gesehen, wow. Die nette Mo begrüßt uns und macht uns Laune auf den Abend. Wir bauen auf und staunen über den Einfallsreichtum der Crew: Alles sieht irgendwie nach Mad Max aus, das Mischpult wird von der Decke gelassen und die Mikroständer sind aus Rohren geschweißt.
Pese und ich müssen noch mal ins Hotel, weil wir nicht geblickt haben, gleich alles Notwenige einzupacken. Strafe für uns Penner: Das Einbahnstraßensystem Wiens. “Fast schon Einbahnfaschismus!” hat Hubi vorhin geschimpft. Ist auch schwierig – und der entscheidende Vorteil der Hinfahrt war das Navigationssystem. Das läuft jetzt nicht und so cruisen Pese und ich durch die City und kommen an machen Ecken verdächtig oft vorbei.
Wir schaffen es aber noch rechtzeitig – die anderen sind vom Essen bereits zurück, haben uns aber was mitgebracht. Prima vegetarisches Spinatomelette. Pese und ich sind ja die beiden einzigen, einsamen Vegetarier in einer Fleischfanatiker-Band. Sogar beim Trichter und beim Botaniker ist da nix zu holen, die sind genauso fixiert und empfinden ein Essen ohne Tier als nahezu keines.
Heute gibt es viel Besuch: Einen ganzen Schwung 99er – da sind Herzensfreunde vom Pese und mir, verbandelt durch diverse Zusammenspiele “99 vs Crash Tokio”, was Peses und meine Münchner Band ist. Die Burschen machen immer viel Spaß, ähnlich dicke Partykaliber sind aber auch noch am Start: Ohje, die Virginis Jetzt! haben in Wien einen Off-Tag und suchen uns heim. Grosses Hallo dann noch für den Naked Lunch-Deisenberger, FM4-Frau Eva Umbauer, die Röda-Girls Sophie und Katie und ein paar schicke Trichter-Botanik-Freunde – volles Backstage, diesem Abend. Voller Kühlschrank, gottseidank auch. Ganz gut ist, dass der in elektronisches Zahlenschloss dran hat, was aber nicht aktiviert ist. Sieht jedenfalls eindrucksvoll aus.
Während des Konzertes entdecken wir eine Leinwand, worauf wir uns selber beim spielen zugucken können. Das ist komisch – liegen die Haare richtig, ist der Move cool genug? Dauernd linst man hin. Naja. Als wir dann “Stranger” anstimmen, ist jedes narzisstische Analysieren eh vergessen, da hierfür die Virginia Jetzt! auf die Bühne geholt werden.
Die waren nämlich damals dabei, als wir den Song aufgenommen haben, im Skyline in Düsseldorf : Wir wollten nen Fussballchor, besser gesagt, Ronny, denn das war seine Idee. Also habe wir Leute eingeladen – Freunde, Bands und solche, die einfach Zeit hatten – haben ein paar Fässer Alt gekauft und dann hat die Meute “Yeah you are a stranger” ins Mikro gebrüllt. An die Party hinterher erinnere ich mich nur schwach…lediglich daran, dass ich ziemlich schnell wieder nach München zurück gemusst hätte, mir deshalb einen Flug geleistet habe, der um 7 Uhr 30 gegangen wäre, ich aber schließlich um halb neun aufgewacht bin. Doch…zurück nach Wien.
Feinerweise teilen wir uns das Hotel mit den VJ!, das macht die Partyplanung einfacher. Tja, aber die Ossis schwächeln, nur Doktor Love – welcher der unverzichtbare Merchmann der VJ!s ist – kann aktiviert werden. Gilbert: “Na, Doktor, noch Lust aufn Bierchen im Nachtasyl?” Dr. Love: “Sind Frauen dabei?” Gilbert: “Na klar.” Dr. Love: “In fünf Minuten bin ich unten.”
Dort – im Nachtasyl, Kneipe mit extremem Avantgarde-Punkrock-Faktor – wird dann noch getrunken, Zigarettentricks werden ausgepackt und, eben, die anwesenden Damen – Katie, Sophie und ich – beeindruckt. Zu aller letzt macht der Teil der Truppe, deren Mägen auch Stahlnägel und rostigen Draht vertragen, noch Halt, um die hundertvierundsiebzigste Käsekrain zu verzehren.