13.11. – Springfield, OR
Es wird kalt. Richtig kalt. Auch im Schlafbereich unseres Busses. Es geht deutlich nordwärts. Ich wache frühmorgens auf, maile und chatte. Sebastian gesellt sich dazu, durchgefroren und alles andere aus ausgeschlafen. Nicht die besten Voraussetzungen für eine schnelle Genesung. Kurz vor Eugene beziehen wir unsere Unterkunft und gehen erst einmal wieder fürstlich frühstücken. Beziehungsweise proletarisch. Das Übliche, nur wieder ein wenig anders. Diesmal gibt es gleich vier Siruparten und noch mehr Butter. Langsam reicht’s aber. De-Supersize me. Bitte. Zurück im Hotel, folgen so elementare Tätigkeiten wie Wäschewaschen, Liegen, Glotzen, Reiseplanung mit dem Busfahrer besprechen, Kaffee trinken, Geld abheben. Ein neues Hobby von den zwei Schleckermäulchen Sascha, Johannes und mir übrigens: gemeinsam Cooking Channel anschauen, und zwar bevorzugt in der Stunde vor dem Abendessen, um nach den opulenten Spätfrühstücken wieder Appetit zu bekommen. Saulecker. So wie der Burger mit den Cajun Fries von „Five Guys“ heute. Eine relativ neue, aber auf jeden Fall schon mal unsere Lieblingskette, die die Washington Post als „Willy Wonkas Of Burgercraft“ bezeichnet. Word. Nach einem digestifen Schlummertrunk an der Hotelbar und dem Warten auf das mit großem Tamtam erwartete Eintreffen der Darsteller der „Immortal Michael Jackson“-Show des Cirque De Soleil gehen wir mit der weiterhin bestehenden Ungewissheit ins Bett, ob morgen das geplante Konzert gespielt werden kann.
14.11. – Springfield, OR – Eugene, OR
Leider keine Entwarnung. Wir müssen absagen. Wir beschließen, dass Sebastian die vor uns liegenden 1.300 Meilen zum nächsten Auftrittsort in Colorado Springs nicht mit dem Bus mitfährt, sondern erst mal in größtmöglicher Ruhe und „Quarantäne“ in Eugene bleibt, zum Arzt geht, um dann hoffentlich gesünder nach Denver zu fliegen. Nach zahlreichen Telefonaten, Recherchen, Mails, Umschichtungen und Diskussionen steht der Plan. Auch hier erweist sich das Goethe-Institut wieder stützender Partner. Natürlich sind wir alle etwas geknickt und beschließen, nach der herzlichen Verabschiedung der Zurückgebliebenen, für die angemeldeten 600 Gäste in der WOW Hall in Eugene – ähnlich wie in San Francisco zuletzt – eine Autogrammstunde mit den gesunden Mitgliedern der Madsen-Bande anzubieten. Im Hintergrund lassen wir den beeindruckenden Auftritt vom diesjährigen Area4-Auftritt der Band laufen. Etwa 200 Leute kommen letztendlich, zum Teil mit liebevoll gestalteten „Gute Besserung“-Karten für Sebastian im Handgepäck. Nach einer guten Stunde machen wir wieder die Biege, denn wir haben einen Monsterritt vor uns. Nach ein paar Bieren und dem dringend notwendigen Walmart-Vorratsauffüllbesuch kreist sehr zügig schon die Tequila-Flasche und die Beef-Jerky-Tüte. Sascha und Johannes okkupieren die DJ-Kanzel. Band Of Horses, Slayer, Queens Of The Stone Age, Wilco, K.I.Z., Pantera, Beatles, Mumford & Sons, Muse, Tony D., Black Keys – Only Killers, No Fillers. Und spätestens als bei der Durchfahrt durch das malerische Lichtermeer von Portland Karl Dall „Heute schütte ich mich zu“ anstimmt, ist klar, dass die Nacht eine lange oder kurze wird, je nach Sichtweise. And then there was silence…dennoch hätte ich halt auch gerne mal aufgelegt.
15.11. – Burley, ID
Number Two is calling. Break. Irgendwo in Idaho. Ich sehe nur weites Land, keine Häuser weit und breit. Spüre Kälte, Wind und vor allem meinen Kopf. Was hat mich bloß so ruiniert? E-Mailnachricht von Sascha Madsen, gestern Nacht, 3:20 Uhr: „Übrigens, Du kannst jetzt auflegen…“ Danke. Ich lege mich lieber hin. In Burley. Wir machen Pause. Nicht viel los heute. Idaho halt. Um Mitternacht geht es weiter. Die Nachtmahre grüssen uns. Allerdings deutlich ruhiger als in der letzten Nacht.
16.11. – Cheyenne, WY
Der erste Schnee. Fast -10 Grad. Starker Wind. Starke Sonne. Wir machen wieder Pause. Frühstück im Village Inn in den Outbacks von Cheyenne, der Hauptstadt von Wyoming. Heute ist Mittwoch. Es gibt daher obendrauf noch einen Kuchen unserer Wahl. Boah ey. Wir sind im Wilden Westen. Im Heartland. Hier wohnen nur 2,22 Einwohner pro Quadratkilometer. Mein amerikanischer Kumpel in Deutschland schreibt: „ Jetzt bist du wirklich bei den durchgeknallten Crazies angekommen…“ Wir können das hier vor Ort nur visuell erahnen. Zum wirklichen Entdecken dieser atemberaubenden Landschaft und ihren wenigen, aber „interessanten“ Leuten fehlt uns die Zeit. Wolle und ich bereiten nachmittags den Rückversand des Equipments nach Deutschland vor, denn die Zielgerade ist langsam in Sicht. Sebastian geht es schon um einiges besser. Wir haben wieder Rückenwind…
17.11. – Colorado Springs, CO
Ab nach Colorado Springs. Über Denver erreichen wir nach drei Stunden Fahrt den Campus der UCCS und checken die Lage. Der Auftrittsort: die James Berger Hall. Eine Mehrzweckhalle, mit grauen Teppichfliesen bedeckt. Ziemlich schnell bemerken wir die Höhenluft. Colorado Springs liegt immerhin über 1.800 Meter hoch, das macht den Atem kurz und die Schleimhäute trocken. Manche holen sich schnell blutige Nasen und starke Popelbildung. Während Wolle, Marc und ich uns um den Aufbau kümmern, die Logistik checkern und Getränke für alle organisieren, bleibt die Band im Bus, der nahe bei der Uni an einer Mall parkt. Klar, da gibt es im Gegensatz zur Uni „unrestricted“ Internet und Burger. Die Wege sind heute weit, und von der Rückseite der Bühne muss man erst mal eine fein polierte Basketball-Halle durchqueren, die von früh bis nachts von allen möglichen Mannschaften genützt wird. Dann geht es rechts durch einen dunklen Gang, dann wieder links eine steile Betontreppe hoch, durch die Türe durch, links den Balkon entlang, dann wieder die zweite links, und dann hinten links in den „Official´s Room“ rein, einem kleinen Aufenthaltsraum für die Basketballschiedsrichter.
Hier baut unser Mann vor Ort, der Deutschlehrer Doug, gerade rund um das Waschbecken das Buffet auf. Vegetarische Sandwiches, endlich mal Salat, Weintrauben und von Doug selbst eingelegte Essiggurken. Das hat auf jeden Fall Stil. Der verlorene, wieder gesundete Sohn namens Sebastian betritt die Szenerie, und alle strahlen. Denn er ist fit und höchst inspiriert, was der nun folgende Soundcheck eindrucksvoll beweist. Die Show ist eine emotionale und die Leute, wenn auch dieses Mal nicht ganz so viele, machen ordentlich Lärm und drehen gut durch. Weiteste Anreise (ausser uns): ein deutsches Au-Pair-Mädchen aus Nebraska (ca. neun Stunden Fahrt). Vorbildlich. Im Gegensatz dazu folgt nach dem Einpacken die kürzeste Anreise von uns zum nächsten Konzertort: 1,5 Stunden. Gleichzeitig unsere letzte Fahrt mit Chester und seinem Bus. Sehr gemischte Gefühle, aber Bier. What a Man! Danke, texanischer Dickschädel mit der gelben Brille.
18.11. – Denver, CO
Finale. 14. Stock. Wir wachen mit einem prima Ausblick auf die Häuserschluchten dieser halbalpinen Weltstadt auf. Meine Wenigkeit zusätzlich noch mit einem prima Helm auf dem Kopf, da ich nach dem obligatorischen Hotelbar-Abschlussdrink noch auf Nikos und Mückes Zimmer Teile des restlichen Busbieres vernichten musste. Das Zeug passt halt einfach nicht mehr in unsere Koffer. Madsen spielen heute in einem Saal namens „Centennial AB“ im Hyatt Regency Hotel. Wolle und Marc fluchen sehr, und haben heute viel zu rennen, zu verhandeln und zu arbeiten, bevor die Bühne samt Instrumenten steht. Das Konzert läuft als „German Cultural Event“ und ist ein furioser, sehr würdiger Abschluss dieser sechs unvergesslichen Wochen. Zahlreiche der auf dieser Reise gewonnenen neuen Freunde sind im Publikum und ebenso in bester Tanz- und Trinklaune wie die Band selbst. Von der ersten bis zur letzten Minute, von der ersten bis zur letzten Reihe wird der Ballsaal niedergerockt, dass es eine wahre Freude ist. Wenn Lehrer Gefühle zeigen…Und während die Band meetet, greetet und Autogramme auf viele pädagogisch wertvolle Körperteile gibt, packt die Crew alles für den Rückversand des Equipments nach Deutschland zusammen, inklusive der Schmutzwäschesäcke der Jungs, die in sämtliche Zwischenräume gestopft werden. Ich möchte auf keinen Fall beim Öffnen der Kisten im Wendland dabei sein. Man gibt uns durch so unauffällige Zeichen wie dem plötzlichen Abbau der Zwischenwände in unserem Dressing Room zu verstehen, dass langsam Zapfenstreich im Ballsaal ist. Wir stehen vor der nicht allzu schweren Wahl, der angeblich megaexklusiven Einladung in die Sky Bar im 27. Stock zu folgen oder lieber in der Hotelbar im Erdgeschoss unseres Hotels ein paar Abschiedsgetränke mit Ulla, Peter, Julia, Mohamed und dem Rest „unserer“ Goethe-Gang zur Brust zu nehmen. Sebastian möchte nur noch „Come On Eileen“ hören und ist auch sonst sehr er- und gelöst, wie sich etwas später deutlich zeigt. Mit viel Danke, vielen Free Hugs und noch mehr Liebe geht es im kleinen Kreis zur After-Hour aufs Zimmer, wo diese denkwürdige Tour dann irgendwann im dichter werdenden Nebel der Nacht ihr leicht melancholisches Ende findet. Ja ja, der Herbst ist ein Maler…und die Reise geht weiter, es hört nie auf.
Die Band
:
Sebastian Madsen, Sascha Madsen, Johannes Madsen, Niko Maurer, Lisa Nicklisch, Mücke Krüssel
Die Crew
:
Wolle Geier (Technik/Bühne), Marc Niedersberg (Backline), Ansgar Sanning (Production Assistant/Medizinmann), Wilko Herrmann (Tour Management), Gregor Stöckl (Management/Tour Management)
Der Soundtrack
:
01. Boston – We´re Ready
02. The Dresden Dolls – Boston
03. Bad Brains – Banned In DC
04. Lucio Dalla – Washington
05. Billy Joel – New York State Of Mind
06. Jay-Z – Empire State Of Mind
07. The Lemonheads – Pittsburgh
08. We Are Scientists – Pittsburgh
09. R.E.M. – Begin The Begin
10. Johnny Winter – Dallas
11. Gorillaz – The Snake In Dallas
12. Calexico – Crystal Frontier
13. The Beatles – Get Back
14. Truck Stop – Arizona Arizona
15. Giant Sand – Ballad Of The Tucson 2
16. Kings Of Leon – Arizona
17. Snoop Dogg – From Long Beach 2 Brick City
18. Mogwai – San Pedro
19. Ryan Adams – Goodnight, Hollywood Boulevard
20. Die Flippers – San Francisco
21. Cascada – San Francisco
22. 2Pac – California Love
23. Arctic Monkeys – Fake Tales Of San Francisco
24. June Carter Cash – Alcatraz
25. Pink Martini – Hey Eugene!
26. Beastie Boys – Eugene´s Lament
27. Cassandra Complex – Moscow Idaho
28. The Divine Comedy – Idaho
29. Bo Diddley – Cheyenne
30. Good Riddance – Cheyenne
31. Grizzly Bear – Colorado
32. Steve Earle – Colorado Girl
33. Jimmy Eat World – Lucky Denver Mint
34. John Denver – Leavin On A Jet Plane