Nach einer unkomplizierten Anmeldung via E-Mail begrüßt Neil Young den Nutzer mit einem Text zum Hintergrund seines Projekts und einem Erklärvideo zur Bedienung des Archivs, das er vor wenigen Wochen in Aussicht gestellt hatte. Die aufwendig gestaltete Web-Applikation sieht zunächst aus wie ein rustikaler Aktenschrank, in dessen Schubladen sich das gesamte Werk des Singer/Songwriters chronologisch archiviert wiederfindet. Über ein Rädchen rollt man von heute bis ins Jahr 1963 zurück, in dem Young mit The Squires (einer seiner ersten Bands) die beiden Session-Aufnahmen “Aurora” und “The Sultan” veröffentlichte.
Alternativ kann man über einen Button auf die noch umfangreichere Timeline-Ansicht umschalten: Young zeichnet hier nicht nur seine Veröffentlichungen auf, sondern hält auch seinen musikalischen Werdegang anhand wichtiger Ereignisse fest, wie Beginn und Ende seines Mitwirkens in verschiedenen Bands, für seine Karriere wichtige Auftritte und das Kennenlernen und teilweise auch Versterben bedeutender Mitmusiker. Auch Fernsehauftritte spicken die Zeitleiste mit entsprechendem Videomaterial, sofern noch vorhanden. Und weltgeschichtliche Geschehnisse setzen sein ein halbes Jahrhundert umfassendes Schaffen in den Kontext seiner Zeit – deshalb reicht die Timeline sogar bis 1960 zurück, als Frank Sinatra das Label Reprise gründet, auf dem Young einen Großteil seiner Platten veröffentlichen sollte.
Der eigentliche Sinn der Sache: Bis auf bislang unveröffentlichte Alben, die Young trotzdem mit kleinen Zeichnungen im Zeitstrahl vermerkt, lassen sich fast alle seiner Songs über die Seite streamen. Young geht sogar noch einen Schritt weiter, und ermöglicht dem Nutzer, seine Musik bei entsprechend vorhandener Bandbreite in unveränderter Master-Qualität zu hören, gänzlich unkomprimiert und in der maximal möglichen Auflösung.
Über einen klickbaren Kippschalter lässt sich zwischen der bei gängigen Streamingdiensten meist höchsten Datenübertragungsrate von 320 Kbps und der unkompromierten Fassung der Tracks umschalten. Ein Tachometer zeigt daneben an, wie die Übertragungsrate um ein vielfaches in die Höhe schnellt. Young empfiehlt, zwischen den beiden Qualitätsstufen hin und her zu schalten, um sich den Unterschied bewusst zu machen. Wer noch weiter gehen will, für den hat Young eine Anleitung für die bestmöglichen Technikeinstellungen bereitgestellt.
Dass der Kanadier ein großer Hi-fi-Fan ist und handelsübliche, nie ganz verlustfreie Komprimierung von Musik verabscheut, hatte er schon vor einigen Jahren deutlich gemacht, als er mit seinem eigenen, Ipod-ähnlichen PonoPlayer mit angebundenem High-Quality-Downloadstore versuchte, Musikliebhaber auf seine Seite und weg von den Massenprodukten zu ziehen.
Auch in seiner Willkommensnachricht scheut sich Young nicht davor, vor allem dem Unternehmen Apple einige Seitenhiebe zu verpassen: “Apple Music kontrolliert die Qualität des Klanges, der den Massenkonsumenten verabreicht wird und entscheidet sich dabei gegen gute Qualität, weshalb ohne eine einzige Ausnahme alle meine Songs nur zwischen 5 und 20 Prozent der Qualität des Masters haben, den ich im Studio erstellt habe. Also hören die Leute nur 5 bis 20 Prozent von dem, was ich geschaffen habe.”
Weiter heißt es: “Weil Apple das Höchstmaß an Qualität nicht anbietet, haben auch Labels aufgehört, den Massen solche Produkte anzubieten. Indem man den Markt mit einem Angebot von Höchstqualität stimuliert, könnte man alle großen Klassiker der Musikgeschichte in voller Auflösung digital wieder zur Verfügung stellen – wie im Neil Young Archive.”
Bislang ist die Nutzung des Neil Young Archive komplett kostenlos, ein entsprechender Button deutet aber an, dass es in Zukunft kostenpflichtige Abo-Modelle geben wird. Auf mobilen Endgeräten funktioniert die Seite noch nicht, auch herunterladen lässt sich die Musik nicht, sondern ausschließlich streamen. Zur Anmeldung für die Seite geht es hier.
Erst vergangenen Freitag hatte Young sein neues Album “The Visitor” veröffentlicht, das ebenfalls im Archiv zur Verfügung steht. Für sein umfangreiches Lebenswerk war der Musiker im September in die “Canadian Songwriters Hall Of Fame” aufgenommen worden.