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Orange Blossom Special: Interview mit Rembert Stiewe

Orange Blossom Special Festival

Interview mit Rembert Stiewe
In einem ausführlichen Gespräch haben wir mit Festival-Chef Rembert Stiewe über die Besonderheiten des OBS, seinen Ansatz beim Booking der Künstler*innen und die Herausforderungen der Zukunft gesprochen.
Orange Blossom Special (Foto: OBS)
Orange Blossom Special (Foto: OBS)

Hallo Rembert, vielen Dank für deine Zeit. Starten wir mal mit den Basics. Welche Bands und Künstler*innen haben dich in deiner musikalischen Sozialisation nachhaltig geprägt?

Da gibt es natürlich einige, je nach “Epoche” möchte ich fast sagen. Aber als ich so 17, 18 Jahre alt war waren es Bands wie Wipers oder Gun Club. Aber auch das Sixities- und Garage-Rock-Zeug hatte es mir angetan. Wenn man da angesetzt hat und geguckt hat, was gab es noch davor oder wo liegen deren Wurzeln landet man irgendwann bei den Stooges und Radio Birdman. Das sind so die Acts die lange Zeit wirklich prägend waren und vielleicht unbewusst immer noch einen Einfluss nehmen, auf das, was ich höre und gut finde.

Würdest du sagen das hat, vielleicht auch unterschwellig, einen Einfluss auf euer Booking beim Orange Blossom Special?

Tatsächlich wieder. Wir haben angefangen in einer Phase, in der Glitterhouse als Label sehr auf Americana, Folk und Artverwandtes konzentriert war – das hatte dann zwangsläufig auch Auswirkungen auf das Programm und die Ausrichtung des Festivals. Das war also schon fast traditionell sehr Singer/Songwriter-lastig. Das fanden wir alle gut und finden wir auch immer noch gut, ist auf Dauer aber ein bisschen langweilig geworden. Dazu kommt, dass sich die persönlichen Hörgewohnheiten über die Jahre natürlich auch verändern. Ich habe zum Beispiel irgendwann für mich den Punk und Post-Punk wiederentdeckt und das hat sich dann  auch auf unser Booking ausgewirkt, sodass wir ungefähr beim 9. oder 10. mehr und andere Strömungen haben einfließen lassen. Heutzutage versuchen wir eine gewisse Bandbreit abzudecken. Dafür muss man im Laufe der Zeit auch ein gewisses Fingerspitzengefühl entwickeln, ob jetzt dieses oder jenes Genre im Vordergrund stehen sollte. Das alles hängt natürlich auch immer von der Verfügbarkeit und Durchführbarkeit des Bookings ab. Ich versuche aber immer einen Mittelweg zu finden, zwischen meinem eigenen Geschmack und dem was ich für geeignet halte, viele interessante Momente für das Publikum zu schaffen. Das ist eine komplexe Aufgabe.

Das klingt tatsächlich nach einer immensen Herausforderung? Wie läuft das Booking denn aktuell, wo eine Krise auf die nächste folgt?

Ich habe genauso zu kämpfen wie viele andere kleine Festivals und Veranstalter*innen auch. Die Übersee-Acts entschließen sich aktuell sehr spät ob sie nach Europa kommen, und wenn ja, wann. Ich wusste im letzten Oktober bei manchen Bands noch nicht, ob das für die diesjährige Ausgabe klappt. Dazu kommt die bekannte Problematik mit den Vorverkäufen, da viele Menschen immer spontaner entscheiden, ob sie eine Veranstaltung besuchen oder nicht. Als wir angefangen haben das Line-up zu veröffentlichen, waren viele deutsche namen darunter, was auch nicht nur auf Gegenliebe gestoßen ist. So muss ich Stück für Stück das Programm zusammenzubasteln und versuchen, die vier oder fünf beim OBS vorherrschenden Fraktionen zu bedienen. Ich will auch für jeden Festivaltag einen gewissen Flow haben, was die Aufgabe nochmal schwieriger macht.

Du hast die Problematik des Bookings angerissen. Dazu kommen auch eigenständige Bewerbungen – wie viele Bewerbungen bekommt ihr pro Festival und wie sortiert ihr diese aus bzw. sichtet und bewertet sie?

Es gibt verschiedene Kriterien die ich gleich am Anfang ansetze. Es gibt einfach ein paar Genres die fürs OBS nicht wirklich passend sind, da fällt vieles schon mal raus. Dieses Jahr habe ich nach 700 Bewerbungen aufgehört zu zählen, weil wir auch mittlerweile ein Netzwerk haben,durch welches eigentlich schon genug Angebote und Tipps hereinkommen. Ich frage aber auch weiter aktiv Acts und Managements an, die ich spannend finde, zum Teil auch Newcomerbands. Es braucht aber vor allem Originalität, also ich brauche keine Cover- oder Tribute-Bands auf dem Festival. Die Kriterien sind aber auch nicht völlig starr – wenn man ein Gefühl hat, dass es passt, dann passt es meistens. Auch das Publikum nimmt das so an. Wir sind nicht wirklich Headliner-abhängig, sondern die Leute wollen hier Musik und Bands entdecken und verlassen sich auf uns und lassen sich darauf ein.

Welche Bedeutung würdest du dem OBS für eine unabhängigere und kreative Szene geben?

Ich will unsere Bedeutung nicht zu hoch hängen, aber ich denke schon dass so kuratierte Festivals wie wir und die üblichen Verdächtigen einen Einfluss auf die musikalische Meinungsbildung des Publikums nehmen und dass das auch ein bewusster Ansatz ist. Wir werfen nicht nur mit Headlinern und großen Namen um uns sondern haben den Anspruch, etwas anzubieten, das die Leute vielleicht noch nicht kennen, danach aber mögen. Das hat schon auch einen pädagogischen Ansatz. Wir buchen nicht nur den heißen Scheiß, sondern vielleicht erst das was in ein paar Jahren der heiße Scheiß wird – natürlich auch immer mit einem gewissen Risiko, das da mitschwingt.

Hattest du auch schon Bands, denen du eine große Karriere vorausgesagt hättest, die dann aber einfach durchs Raster gefallen sind?

Es gab hier alles schon. Bands von denen ich dachte, sie werden riesig – von denen hat man schon ein halbes Jahr später nichts mehr gehört. Wir hatten aber auch einige Bands, die hier ihre ersten Festivalauftritte überhaupt gespielt haben und dann groß geworden sind. Madrugada haben hier zum Beispiel ihre erste Show außerhalb Norwegens gespielt. Die Giant Rooks waren als Kinder hier mit ihren Eltern und hatten dadruch eine entsprechende Bindung zum OBS, deshalb sind sie hier auch noch aufgetreten, als sie schon längst große Hallen gefüllt haben. Es gibt noch ein paar solcher Beispiel: Get Well Soon und Gisbert zu Knyphausen spielten hier ihre ersten Festivalauftritte überhaupt und selbst AnnenMayKantereit haben hier nochmal gespielt, nachdem sie schon durchs Dach gegangen waren. Dann bekommst du so Anrufe der Touragentur, ob du dir vorstellen kannst, dass AnnenMayKantereit nochmal auf dem OBS spielen – für die Gage, die ich zahlen kann – einfach weil die Band sich hier wohlfühlt und Bock darauf hat. Das ist natürlich eine schöne Bestätigung der eigenen Arbeit und dafür macht man es auch. Selbst Casper hat hier gespielt und musste seine Produktion deutlich runterfahren. So bekommt man auch mal größere Bands, die von anderen Kolleg*innen gehört haben. Wir hatten so auch mal Kettcar als Surprise Act um 11:30 Uhr am Sonntagmorgen auf der Bühne – das war schon schön.

Stichwort Programmpunkte. Ihr seid auch bekannt für sein sehr buntes und vielfältiges Rahmenprogramm? Wie wichtig schätzt du diese Angebot ein?

Früher hab ich sinngemäß gesagt: ‘schön und gut, aber die Leute kommen eh nur wegen der Musik’. Das sage ich jetzt allerdings nicht mehr. Ich behaupte zwar weiterhin, dass kein einzelner Punkt aus dem Rahmenprogramm dafür sorgt, dass wir mehr Tickets verkaufen – ich glaube aber sehr wohl, dass das Rahmenprogramm zu dieser bestimmten, schwer zu beschriebenden Atmosphäre beiträgt. Das hat auch oft was mit Servicequalität zu tun, wir haben zum Beispiel ein Still- und Wickelzelt. Das ist mit wenig Aufwand verbunden, wird aber sehr dankbar angenommen. Wir haben ein großes Programm für Kinder und Jugendliche, sogar eine Vogelbeobachtungstour. In der Gesamtheit ist das ein rundes Paket. Wir hatten auch schon im örtlichen Freibad ein Seepferdchen-Schwimmen, wo Erwachsene das Seepferdchen mit OBS-Aufnäher bestanden. Dazu gehört auch, dass die Leute sich gut aufgehoben fühlen. Wir achten auf ein breites kulinarisches Angebot und generell darauf, dass alle Besucherinnen und Besucher sich wie Gäste fühlen und nicht wie “zahlendes Konzertvieh”.

Du hast es schon kurz angerissen: Gibt es ein Konzept in puncto Nachhaltigkeit, dass ihr verfolgt?

Mittlerweile ja, früher war das alles ein bisschen spontaner. Wir haben noch mitten in der Pandemie eine AG Nachhaltigkeit gegründet und ein Leitbild zusammengestellt um daran die einzelnen Maßnahmen anzupassen. Das haben wir dann auch öffentlich gemacht, weil alle Beteiligten da mitziehen müssen. Wir wollen, dass alle Maßnahmen und Projekte sich an sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit messen lassen können. Wir haben auch schnell gemerkt, dass es zwar wichtig und richtig ist, sich ein großes Ziel zu setzen, müssen aber auch mit kleineren Schritten zufrieden sein. Wenn du dir die CO2-Neutralität als Ziel setzt, wird es schnell schwierig, denn: darf ich dann noch eine Band aus Kanada oder UK buchen? Es gibt Felder in denen man wenig Einfluss hat, da kann man nur noch an das Verhalten aller appellieren. Dazu kommt ja schon die Anreise des Publikums, was unter ökologischen Gesichtspunkten eine Katastrophe ist. Da ist dann eine Mitfahrbörse oder die Propagierung der Anreise mit dem Zug der kleine Schritt zum großen Ziel. Was soziale Nachhaltigkeit angeht, sind wir eines der wenigen Festivals, dass auf jeden Fall seine Mitarbeiter*innen mindestens mal im Minijob-Verhältnis bezahlt. Wir bemühen uns dazu auch um Gendergerechtigkeit im Team, in diesem Jahr sind z.B. 58% der Teammitglieder weiblich. Und was das Booking angeht: Im letzten Jahr haben 54% der Acts den Keychange-Kriterien entsprochen. Wir hatten tatsächlich auf den sechs „Headliner-Slots“ insgesamt fünf Bands die den Kriterien entsprochen haben. Ich hoffe dass das nach und nach immer mehr zur Normalität wird. Inklusion ist bei uns auch ein Thema, da arbeiten wir auch jedes Jahr an Verbesserungen. Zudem bieten wir Sozialtickets an, dass heißt, dass Menschen die finanziell ein bisschen schwächer aufgestellt sind, beim Ticketkauf aus einem Spendentopf unterstützt werden können.

Wie stehst du zum Thema Glamping und der Entwicklung auf einschlägigen Festivals?

Kritisch. Natürlich brauchst du die passende Infrastruktur, aber die Tickets sind schon teuer genug, auch weil sie es müssen – aber von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft halte ich nichts, das passt auch überhaupt nicht zum OBS. Die bei uns gebotene Servicequalität soll allen zugute kommen. Ich habe lieber einen Sandkasten in dem die Kids spielen können, als eine VIP-Tribüne.

Rembert, vielen Dank für deine Zeit und deinen ausführlichenBericht zum OBS. Abschließend nochmal plakativ gefragt: Warum sollten die Leute ihr Wochenende bei Euch verbringen?

Man muss es einfach entdecken. Wir haben hier eine besondere Atmosphäre und alle Leute, die Musik entdecken wollen, sind drei Tage auf einem anderen Planeten. Teilweise weinen hier Leute, wenn es vorbei ist und sie wieder nachhause müssen. Dabei ist  dein Job und deine soziale Schicht egal, es ist eine Veranstaltung, die Gemeinsamkeit stiftet. Man kann auch seine Kinder mitbringen und einfach entspannte Stunden und Tage verbringen. Das ist uns wichtig.

Tickets für das Orange Blossom Special gibt es noch bis zum 21. Mai bei Love Your Artist für 139 Euro. Für Kurzentschlossene haben die Veranstalter*innen Tagestickets und eine Abendkasse angekündigt.

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