Polarkreis 18 im Underground, Köln, 20. Mai 2007
An einem lauen Sonntagabend versammeln sich die Leute zahlreich im gemütlichen Biergarten vor dem Kölner Underground. Ursprünglich als Konzert ohne Vorband angekündigt, vernimmt man plötzlich doch Töne von der Bühne, die weder vom Band noch vom Headliner des Abends stammen. Tatsächlich hat die blutjunge Kölner Nachwuchsband The Black Sheep die Bühne erklommen und sie sich in Sekundenschnelle zu Eigen gemacht. Erstaunlich, mit welch souveräner Wucht und Energie die vier Damen im gefühlten Alter von 16 Jahren loslegen. Irgendwo zwischen Stadionrock und Alternative-Gestus verortet, macht das Quartett seine Sache richtig gut und wirkt dabei fast schon ein wenig zu professionell, so dass man schon jetzt ein patentes Management dahinter vermuten könnte. Eine gute Show ist das dennoch. Fraglich bleibt nur, was diese im Vorprogramm von Polarkreis 18 zu suchen hat, sind musikalische Deckungsgleichheiten doch nicht mal ansatzweise auszumachen. Zum Abschied hüpfen die schwarzen Schäflein fröhlich winkend ins Fettnäpfchen und wünschen viel Spaß bei den nachfolgenden “Polarkreis 17”. Dem mitgeschleppten Fanclub ist das egal, sorgt dieser doch ungebrochen für einen in diesem Maße selten bei einer Support-Band erlebten Jubel.
Pause und Publikumsaustausch. Wo sich in der Menge bei The Black Sheep ein auffällig hoher männlicher Anteil ausmachen lässt, kehrt sich das Verhältnis bei den sechs jungen Herren von Polarkreis 18 ins Gegenteil um. Dazu passend wird auch in musikalischer Hinsicht ein Kontrastprogramm aufgefahren. Mit ihrer ungewöhnlichen Fusion aus elegischem Falsett-(Post-)Pop à la Sigur Rós und enorm tanzbaren Elektro-Beats suchen Polarkreis 18 zumindest auf nationaler Ebene ihresgleichen. Dass das “Polar” im Kreis auch für “polarisieren” stehen kann, ist trotzdem klar, sind die hoch dosierte Theatralik und der hemmungslose Pathos im Schaffen der jungen Elbstädter doch ganz sicher nicht jedermanns Sache.
Uniformiert ganz in weiß gekleidet, loten Polarkreis 18 in hervorragendem Sound von Beginn an die ihrer Stilmischung innewohnenden Extreme – oder nennen wir sie Pole? – intensiv aus. Der Beat ist schneller als aus der Konserve, härter, mitunter fast ravig technoid. Eine unwiderstehliche Rhythmus-Sektion aus jazz-affinem Bass und ungemein variablem Schlagzeugspiel zieht mit magnetischer Kraft auf die Tanzfläche. Klirrende Gitarren sorgen für einen gewissen Postrock-Vibe und lassen die synthethischen Keyboardflächen hellweiß schimmern. Obendrauf platziert sich Sänger Felix Räuber und schraubt sich mit seiner kaum fassbaren, unwirklichen Kopfstimme in ungeahnte Höhen, tanzt und zuckt sich in einen Rausch, geht völlig in seinem eigenen Klangkosmos auf. Dass er es im jugendlichen Überschwang dabei zuweilen mit theatralischen Posen und affektierter Gestik übertreibt, sei ihm im Nachhinein verziehen.
Die auf Konserve mit exzessivem Streichereinsatz ausgestatten Kompositionen werden auf der kleinen Bühne des Undergrounds mit Keyboards emuliert, ein Mal gar mit einer Trompete ersetzt, andernorts für den Live-Einsatz umarrangiert. Der Single “Stellaris” nimmt das leider die melodische Brillanz, ansonsten aber gelingt das livegerechte Abspecken durchweg, nicht zuletzt dank der für eine Band im Durchschnittsalter von 20 Jahren außergewöhnlichen, multi-instrumentalen Fähigkeiten. Auf Kosten der träumerischen, orchestralen Komponente kehren Polarkreis 18 so heute Abend vor allem ihre tanzbare Dance-Inkarnation heraus. Nur die Melodien bleiben: gewaltig, erhaben und von verwunschener Schönheit.
Mit zunehmender Spielzeit gewinnt das Sextett an Sicherheit, verliert an Kleidung und krönt ein bis dato gutes Set mit einem grandiosen Schlussspurt. Nach nur 40 Minuten stimmt die Band eine erweiterte Version von “Comes Along” an, die sich zur vielstimmigen Massenorgie steigert, bis das ganze Publikum sich in einen fiebrigen Rausch getanzt hat. Zur Zugabe kehrt zunächst nur Felix Räuber auf die Bühne zurück, setzt sich ans Piano und gibt ein umwerfendes Solostück zum Besten, bei dem die klare Strahlkraft seiner Stimme zur Geltung kommt, ohne dabei auch nur im geringsten Erinnerungen an Coldplay, Keane und Konsorten zu wecken. Noch Sekunden nachdem das Lied verklungen ist, traut sich niemand im Publikum, der Stille mit gewalttätigem Beifall ein Ende zu setzen. Nach diesem Höhepunkt scheint das Ende sicher, weil eine Steigerung schwer möglich ist. Doch fürs Finale mit dem wie ein rasender Herzschlag pumpenden “Look” läuft die gesamte Band ein letztes Mal zu hitziger Höchstform auf. Das Underground bebt, das Publikum tanzt und will mehr, mehr, mehr. Tatsächlich taucht die Band noch einmal auf der Bühne auf, doch nur zur gemeinschaftlichen Verneigung. Gut so, denn eine weitere Steigerung wäre hier nicht drin gewesen. Man muss wissen, wann Schluss ist. Und diese Polarfüchse wissen das.