Drei Jahre sind seit ihrer ‘Kapitulation’ verstrichen, das neue Jahrzehnt beginnen Tocotronic in den Fängen von ‘Schall & Wahn’. Wer so viel Rausch und Enthemmung verspricht, muss jedoch Beweise vorlegen. ‘Macht es nicht selbst’, die erste Single-Veröffentlichung, sah sich diesem Unterfangen bereits verpflichtet.
Wütende Plüschmaskottchen toben inmitten der Band, Dirk von Lowtzow pflegt die Geste zwischen Manierismus uns Morrissey’haftem Dandytum – das Video, das als Vorbote bereits im letzten Jahr exklusiv auf 3min.de debütierte, bot viel Optik im Verbund mit ungestümen Drängen der vier Musiker.
‘Schall und Wahn’ wurde – der Berlintrilogie, bislang bestehend aus ‘Kapitulation’ und ‘Pure Vernunft darf niemals siegen’ verpflichtet – von Moses Schneider in der Hauptstadt produziert. Zwischen fortschreitend krachend und zurückgezogen introvertiert inszeniert er dabei das zehnte Album der deutschen Diskursvordenker. VISIONS Nr. 203 widmet sich mit seiner Titelgeschichte der Band und schickt das Album in den Soundcheck:
Und wer noch immer in den 90ern verharrt und von Studentenhymnen wie ‘Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk’ nicht ablassen kann, dem werden solche Textfetzen aus der offiziellen PR-Mitteilung den letzten Funken Hoffnung nehmen, dass Tocotronic je wieder zum Status der griffigen Sloganizer zurückkehren:
‘'Schall und Wahn' ist Tocotronics bisher heftigste Propagierung von Zwischenstufen, Ich-Auflösung und Vielheit. Es ist ein loderndes Zwitterwerk – hin-und hergerissen zwischen gesellschaftlichem Statement und individuellem Spleen, zwischen klassischer tocotronischer Negation und Überwindung derselben, zwischen kreativem Akt und Zerstörung, Wach-Sein und der Sprache des Unbewussten.’
Dank solcher Brocken werden sich wohl wieder Extremhermeneutiker das Kassengestell vor Vorfreude von der Nase reißen. Tocotronic liefern Stoff für etliche Abende der Textexegese.
Video: Tocotronic – „Macht es nicht selbst“
Video: Tocotronic – Making Of „Macht es nicht selbst“ / „Schall & Wahn“