Wiedersehen macht bekanntlich Freude, und so gibt es vor dem LKA in Stuttgart eine spontane Aftershow-Wiedersehensparty, die in und vor den beiden einträchtig nebeneinander parkenden Tourbussen von Turbonegro und der Turbojugend St. Pauli ihren Lauf nimmt. Der schwedische Toursupport Division Of Laura Lee kann leider nicht mitfeiern, und an einen Auftritt war zuvor erst recht nicht zu denken. Die Band liegt nämlich krank darnieder und befindet sich mittlerweile auch schon auf dem Heimweg. Am schlimmsten hat es Sänger Per Stalberg getroffen, der sich mit einer Salmonellen-Infektion herumschlagen muss. Sehr bitter für die Band, die nun auf fünf Konzerte vor insgesamt etwa 10.000 Zuschauern verzichten muss.
Tourmanagerin Petra Hamacher, die fast den ganzen Mittwoch mit den Musikern in verschiedenen Krankenhausambulanzen verbracht hat, siedelt für zwei Tage in unseren Bus über. Stuttgart und München müssen ohne Vorband auskommen, ab Freitag in Köln werden die befreundeten Norweger von Amulet zum Tour-Tross stoßen. Happy-Tom freut sich darüber sehr und berichtet, wie großartig doch das neue, von Euroboy produzierte Amulet-Album geworden sei. Tom ist übrigens auch alles andere als kerngesund, inzwischen bekommt er auf dieser Tour bereits die dritte Antibiotika-Therapie gegen diverse Hals-, Rachen- und Nebenhöhleninfekte verpasst. Außerdem hat er sich irgendwo in Südeuropa fast die Hand gebrochen und konnte zum Teil nur unter großen Schmerzen seinen Bass spielen. Drummer Chris Summers laboriert noch immer ein wenig an einer Magen/Darm-Geschichte herum, für die er das “beschissene Essen in Spanien” verantwortlich macht.
Einzig Frontmann Hank von Helvete fühlt sich rundum fit. Nachdem er seine Erkältung und die damit einhergehenden Stimmprobleme Anfang Mai in den Griff bekommen hat – die Show in Amsterdam hat die Band übrigens entgegen der gestrigen Information doch gespielt, was aber laut Hank im Nachhinein keine gute Entscheidung gewesen sei –, fühlt er sich bestens. Aber das kann auch an seiner täglichen Ladung Methadon liegen. “Mein Arzt meinte zu mir, dass ich schon irgendwas ziemlich Heftiges haben müsste, bevor mein Körper das durch den Methadon-Schleier überhaupt registrieren würde.”
Beim Konzert machen die sechs Turbon(orw)eger alle einen recht fitten Eindruck. Pal Pot Pamparius mimt wie gewohnt den Weirdo, schmeißt sich auf sein Keyboard oder verabreicht sich spontan eine Bierdusche. Euroboy freut sich, dass ihn die Schwaben ausnahmslos abfeiern, nachdem er tags zuvor in Zürich mit Vollidioten zu tun hatte, die ihn in einer Tour beschimpft und mit Münzen und Feuerzeugen beworfen haben. Man merkt der ganzen Band die wiedergewonnene Tour-Routine an, sie wirken noch ein bisschen lockerer als bei den beiden Hamburg-Shows. Die Darbietung ist druckvoll, der Sound in Ordnung, wenn auch ein bisschen zu leise, und die Setlist unterscheidet sich kaum von der in der Großen Freiheit. Meine persönlichen Highlights am heutigen Abend heißen “Ride With Us”, “Midnight Nambla” und mal wieder das unschlagbare “Denim Demon”. Auch die Showeffekte kennt man schon: Spielgeld, Kunstblut, Federn und eine große Pappmaschee-Hantel, die Hank triumphierend stemmt, wenn er beim letzten Song “I Got Erection” die Band vorstellt. Die Zeiten der brühmt-berüchtigten ‘Arschrakete’ gehören wohl endgültig der Vergangenheit an.
Nach der Show dann noch eine recht seltsame Szene im Backstagebereich: Ein junges Mädel spricht den neben mir stehenden Happy-Tom an, ob sie ihn vielleicht mal kurz was fragen dürfte. Natürlich darf sie. Sie ist in einen Typen verknallt, der ihr öfters auf Konzerten in Stuttgart begegnet. So auch heute. Leider hat sie sich noch nicht getraut ihn anzusprechen und möchte jetzt gerne von Happy-Tom wissen, wie sie das wohl am besten anstellen sollte. Lieber frech oder besser cool? Gelangweilt tun oder das Interesse offen zeigen? Keine Ahnung, warum sie ausgerechnet Happy-Tom als Partnerschaftsanbahnungsberater auserkoren hat. Wir besinnen uns auf unsere Pfadfinderpflichten und raten ihr, sich möglichst natürlich zu benehmen und nicht mehr allzu lange auf ihr Glück zu warten.
Kurz vor Mitternacht hängen noch immer viele Turbo-Fans vor der Halle rum, trinken Bier und kommen auf dumme Gedanken. Manche davon jedenfalls. Der mitreisende Turbonegro-Hausfotograf Trond beobachtet, wie ein paar Kids Flaschen auf eines der anwesenden Polizeiautos schmeißt, woraufhin das Heckfenster des Cop-Cars in die Brüche geht. Jetzt sind die grünen Helfer natürlich schlecht gelaunt und fordern Verstärkung mitsamt Hunden an. Ca. eine Stunde lang werden dann Personalien überprüft und nach Betäubungsmitteln gefahndet. Die Busbesatzungen verhalten sich in dieser Zeit äußerst ruhig, auf eine stundenlange Filzung der Nightliner will es nun wirklich niemand ankommen lassen. Ein paar Stunden später hat dann auch unser Busfahrer Les Gent – ein äußerst mürrischer Brite mit gerade mal zwei Zähnen, was die Kommunikation mit ihm zu einer Konzentrationsfrage werden lässt – ausgeschlafen und wir schaukeln gemütlich in Richtung München, aber noch längst nicht ins Bett. Erst als die Sonne unbarmherzig durch die Fenster brennt, macht sich der letzte Turbojugendliche auf den Weg in die engen Kojen.
Autor/Foto: Dirk Siepe