Eines gleich vorweg: Tool sind, entgegen aller Ankündigungen, nicht zur politischen Band mutiert. Auch nicht zu Meshuggah. Sie sind und bleiben ein Mysterium. Eine musikalische Kontradiktion. Seit 1990 arbeiten Tool mit Eifer und auf allen Kanälen daran, sich selbst und ihren düster-verklausulierten Soundkosmos zum Mythos zu erhöhen. Von welcher Seite man sich dem Quartett um Maynard James Keenan auch nähert – mehr als eine unscharfe, geheimnisumwitterte Aura wird man schwerlich erhaschen können. Bliebe der Zugang über Musik und Texte. Bliebe, denn bereits Tools frühe Meisterleistung “Ænima” galt als kaum steigerbare tour de force durch brutalste Metal-Riffs und sinister-psychotische Weiten, durch verschrobene Taktarten und eigentümliche bis schlicht unverständliche Phrasen. Der knapp 80-minütige Brocken “Lateralus” setzte dann 2001 abermals eins drauf, gab dem Begriff Math-Rock eine völlig neue Tragweite, indem er mit “Lateralis” einen Song über Mathematik an Bord hatte, der – schenkt man Gitarrist Adam Jones’ Ausführungen Glauben – mit dem “17. Schritt der Fibonacci-Sequenz” zusammenhängen soll. Und nun, nach weiteren fünf Jahren des Ausharrens, dies. “10,000 Days”, die nächste tonale Bastille. Hart, schroff, hochdynamisch; eine mal aufgewühlte, dann wieder ruhig wogende See. Was auch sonst? Wer die Band schon immer als zu verkopft und überbewertet empfand, der wird auch diesmal wieder die nötigen Anker vermissen in diesem rhythmisch exakt abgezirkelten Terrain zwischen harschem Ausbruch, intellektueller Ambition und permanenter Andeutung. Der Rest darf sich übers nächste Ausnahmewerk des Abgründigen freuen, dem die erdende, organische Klangästhetik eines Joe Barresi (u.a. Queens Of The Stone Age) ungleich besser zu Gesicht steht als die unterkühlte Ästhetik von David Bottrill, unter der zumindest der Vorgänger litt. Natürlich bleiben Fragen. Geht es in “The Pot” mit seinem unnachahmlich verspulten Carey-Groove, auf den einer der eingängigsten Tool-Refrains aller Zeiten folgt, oder im wütenden “Rosetta Stoned”, wo einem Keenan verzerrt direkt ins Ohr murmelt, womöglich ums Kiffen? Verhandelt das Doppel aus “Wings For Marie” und “10,000 Days” tatsächlich den Schlaganfall seiner Mutter? Und was, bitteschön, soll das dahinplätschernde Nichts “Viginti Tres” am Ende? Im Ernst, es ist herzlich egal. Bleibt eine Frage des Glaubens. Dazwischen besänftigen hier folkloristisch eingefärbte Interludes, grätscht dort ein nervös zerhackter Beat in die Parade, lassen im späten, sich zu einem Sturm steigernden Höhepunkt “Right In Two” erst ein Glockenspiel, dann beseelte Bongo-Skills aufhorchen. Vom Funken singt Keenan an einer Stelle, der sich erst zur Flamme, schließlich zum Feuer uswächst. So weit, so nachvollziehbar. Wozu noch verstanden werden?
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