Fast hätte man den Eindruck gewonnen, der Weg wäre das Ziel gewesen. Ein großes Stück des Internets wäre getilgt, striche man all die Foreneinträge, Blogs und Postings, die die Entstehung von “Saturday Night Wrist” flankierten. Nach “Deftones” erklärte Chino Moreno seinen Bandkollegen, dass er sich mit dem schwarzen Motivationsloch im Rucksack lieber auf seine kreativen Wanderjahre begäbe, als ein weiteres Deftones-Album einzuspielen. Es folgte für ihn die wabernde Frischzellenkur namens Team Sleep, der Rest der Band und die Fans zerbrachen fast an der Ungewissheit, die er ihnen hinterlassen hatte. Eine Pause? Oder doch viel ernster: ein Ende auf Raten? Abseits Chinos jetzt neu aufflammenden Bekenntnissen in diversen Interview-Arien zur Band, arbeitet “Saturday Night Wrist” die Zeit dazwischen auf und gibt Antworten. Wer sagt, dass das Album unverkennbar nach den Deftones klingt, hat Recht. Oder auch nicht. Denn jedes der Déjà-vus, die sich in der Gesamtheit mehr an “White Pony” als an “Deftones” orientieren, klingt hart erkämpft und erarbeitet.
Blindlings scheint nichts passiert, und “fast wie von selbst” ist wohl keine Phrase, die im Zusammenhang mit dem Aufnahmeprozess eines solchen Albums fallen wird. Stattdessen ein Miteinander mit Distanz, ein bilaterales Zusammenwirken mit Arbeitsteilung. Morenos Visionen manifestieren sich teilweise in Klangereignissen, deren Endpunkte so weit ins Universum verschoben zu sein scheinen, dass man nur langsam ihren Spuren folgen kann. So zu finden gleich im ersten Stück “Hole In The Earth”, einem der stärksten Deftones-Songs bisher: Wähnt man Moreno dank seiner dahinfließenden Gesangsparts ganz weit draußen, stellt die Band den Fuß in die Tür des Hier und Jetzt. Aufbäumend und überwältigend ist das. Die einzige Konstanz auf Albumlänge bleibt der unberechenbare Zickzack-Rundgang in den gemeinsam als Band Deftones angehäuften kreativen Abgründen. Bequem oder selbstgefällig ist “Saturday Night Wrist” zu keinem Zeitpunkt.
Ob man für “Mein” die bandinterne Spannung kurz unter den Teppich gekehrt hat, um ihn prompt für System Of A Downs Serj Tankian ausrollen zu können? Fest steht, dass Tankians Stimmkraft für einen der schwächsten Beiträge verbraten wurde – andere Bands sich für diesen Song nichtsdestoweniger die Fingernägel ausreißen würden. Das Intermezzo von Giant Drags Annie Hardy in “Pink Cellphone” wirkt dagegen wie der ganze Track: verstörend. In 50 Minuten spreizen die Deftones den Fächer der Gefühle weit. Fragt sich, ob sie dieses Wechselspiel live reproduzieren können. Und wenn ja, wie oft sie’s wollen. Wer sich für “Saturday Night Wrist” erst aufwärmen will, höre nichts Früheres von den Deftones, sondern Faith No Mores “King For A Day, Fool For A Lifetime”, das einen auf eine ähnliche Reise mitnimmt. Chino verstünde es sicher als Lob. Und die Fans? Die würden hoffen, dass den Deftones das Schicksal dieser Paten im Geiste erspart bleibt. Schließlich will man angesichts des aktuellen Burgfriedens noch lange was von ihnen haben.
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