England nach 7/7 ist wie Amerika nach 9/11 ein anderes Land. “Now is not the time for liberal thoughts”, singt Kele Okereke. Sein Ich sitzt im Song “Hunting For Witches” mit einem Sixpack Bier und einer Schrotflinte auf dem Dach und ist völlig paranoid. Ein bissiger Kommentar zu den Schlagzeilen der Tabloids. Genauso wie im Fall des ebenfalls dunkelhäutigen Teenagers Christopher Alaneme, der im letzten April in Kent erstochen wurde. “In every headline we are reminded/ That this not home for us”, singt Kele, der Sohn nigerianischer Einwanderer in “Where Is Home? “, seinem “second generation blues”. Er singt über seine Erfahrungen als 25-Jähriger, der zwar in England aufwuchs, aber weder dort noch woanders wirklich zuhause ist. Doch Rassismus und Bigotterie sind nicht der rote Faden des “Weekend In The City”. Sie sind Detailaufnahmen und gute Beispiele dafür, wie sehr Okereke sich bemüht, seine Texte konkret werden zu lassen, nachdem er vorher so oft missverstanden wurde. Den Rahmen bildet das Wochenende. Die Zeit zwischen Samstagabend und Montagmorgen als Gleichnis für das ganze Leben. Er beobachtet Bethnal Green, East London, die Straßen, in denen er lebt. Er beobachtet die Leere in den Gesichtern der Leute, die zur Szene gehören wollen, “dressed like the cover of a magazine”. “We suck each other’s faces and make sure we are noticed”, singt er über diese hilflose Oberflächlichkeit. Alle sind auf der Suche nach etwas. “Make it long, make it last forever”, eine gleichgeschaltete Jugend ohne Orientierung, “commerce dressed up as rebellion”. Der Song heißt “Uniform”, und er nimmt eine plötzliche Wendung, indem er wie ein Selbstmordattentäter fleht: “I am a martyr, I just need a motive”. Dunkel ist das alles. Dunkel und verwoben. Viel dichter und atmosphärischer als “Silent Alarm”, das dagegen plötzlich wie eine Singles-Compilation erscheint. “A Weekend In The City” hält seine Hits dagegen zurück, lässt sie erst langsam aufsteigen. Subtil wie auch die Produktion. Vielschichtig, unaufdringlich, stimmig und viel experimentierfreudiger als der erste Höreindruck preisgeben will. Man beachte die Vokalarrangements im Hintergrund. Bloc Party türmen sich überlebensgroß auf, haben sich dabei von Ligeti, Kate Bush und der Lukas-Passion von Penderecki auf die Sprünge helfen lassen. Dazu flirren wie immer die Gitarren, getrieben von den phantastischen Rhythmen, die Matt Tong aus dem Ärmel schüttelt, als hätte er noch haufenweise davon hinterm Haus. Halb Ego, halb Verwundbarkeit – so wird Kele Okereke, der scheue Interviewhasser gern beschrieben. Genauso ist auch dieses Album. Wenn es in der zweiten Hälfte musikalisch wieder etwas absackt, wird es dort aber textlich sehr intensiv, sehr persönlich. Der Stotterer Kele und die Effekte des Kokains, seine Zerrissenheit zwischen den Kulturen, enttäuschte Liebe, schwule Liebe. Es ist weniger das Coming Out des Posterboys in seiner sexuellen Neigung, es ist sein Coming Out als Texter, der durch intensives Smiths-Hören zu einem besseren Beobachter geworden ist. Das alles zusammen macht “A Weekend In The City” so ge- und entschlossen und viel besser als jedes unter vergleichbarem Druck entstandene zweite Album der letzten Jahre. Ideenreicher als “Room On Fire”, durchdachter als “You Could Have It So Much Better”.
weitere Platten
The High Life EP
VÖ: 21.07.2023
Alpha Games
VÖ: 29.04.2022
Hymns
VÖ: 29.01.2016
Four
VÖ: 24.08.2012
Intimacy
VÖ: 24.10.2008
Silent Alarm
VÖ: 14.02.2005