Sollte sich die so genannte “TENspiracy” doch nicht als Verschwörungstheorie entpuppen, sondern als die reinste Wahrheit, von Radiohead höchstselbst verifiziert, aber ob ihres eigenen Faibles für alles Kryptisch-Konspirative zunächst verschwiegen, bitten wir für den nächsten Satz um Nachsicht: Eine Verschwörungstheorie umgibt das neue Album von Radiohead, und sie heißt TENspiracy, weil sie der Zahl 10 große Bedeutung beimisst. So soll das am 10.10. ohne eine Plattenfirma veröffentlichte “In Rainbows” gemeinsam mit dem 10 Jahre älteren “OK Computer” (ebenfalls 10 Buchstaben) das epochale Doppelalbum “01 And 10” ergeben. Geht so: Man kombiniert die Tracklisten der beiden Alben – abwechselnd einen Song von “OK Computer” und einen von “In Rainbows” –, bis eine Platte mit 22 Tracks herauskommt, die mit “Airbag” (vor “15 Step”) beginnt und mit “The Tourist” (nach “Videotape”) endet. Die Songs lässt man dann in iTunes mit 10-sekündiger Überschneidung ineinanderfaden und enthält… Tja. Ein erstaunlich homogenes Riesenalbum, dessen Tracks sich überwiegend nahtlos aneinanderreihen, ja stellenweise regelrecht anzukündigen scheinen. Hier ein Beat, dort ein Anzählen als Überleitung. Verschwörungstheorien funktionieren, weil sie ein in sich geschlossenes System bilden, eine geniale Logik, der man letztlich alles unterwerfen kann. “OK Computer” war das dritte Album von Radiohead, “In Rainbows” ist das siebte: 3+7=10. Und 2+2=5 – womit wir beim Vorgänger “Hail To The Thief” wären, der schon einen Bruch darstellte im bis dato bedingungslosen Fortschrittsdenken der Band, die nacheinander Britpop, Postrock und halbelektronische Avantgarde hinter sich gelassen hatte, ehe sie plötzlich einen Schritt zurück in Richtung Zugänglichkeit tat. Und wenn “Hail To The Thief” einer war, sind “In Rainbows” 10. Radiohead haben ihre erste Retroplatte gemacht; ein Album, das erstmals mehr zurückblickt als nach vorne schaut. Auch darum funktioniert die TENspiracy: Näher an der gespenstisch dichten, unausweichlich traurigen, zugleich aber auch zerbrechlich schönen Atmosphäre von “OK Computer” waren sie nur auf “OK Computer” selbst. Doch durchweht “In Rainbows” auch dieser Hauch von Flüchtigkeit und Unvollendetheit, der erst die späteren Radiohead auszeichnet. In sich wie unter sich kommen die Songs oft ohne Höhepunkte aus – stattdessen verdankt das Album seiner Liedabfolge entscheidende Wirkung. Wie sich das beatgetriebene “Weird Fishes” über seinen orchestralen Fortsatz “Arpeggi” ins finster spröde “All I Need” schraubt oder der schwärmerische Folk von “Faust Arp” an den rohen Cymbal-Sound in “Reckoner” andockt, sind Kunststücke, die keine zweite Band vollführt. Man hätte sich ein spektakuläreres Album von Radiohead wünschen können, ein souveräneres nicht.
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