Evil Urges – das Album wie der Song – ist gerade 40 Sekunden alt, da hätten wir den ersten: Man mag ja auf so einiges gefasst sein bei dieser dauerbenebelten Kentucky-Band und ihren mannigfaltigen Progrock-Schrullen – Pornofunk hatte man nicht auf dem Zettel. Über den bullernden Drums, den zähen Gitarren und spinnerten Synthies erhebt sich die Stimme Jim James – und zwar zu einer Falsett-Orgie, wie sie Prince feuchte Träume bereitet. Heiliger Hormonhaushalt! Da entwickelt es plötzlich eine seltsame Doppeldeutigkeit (um nicht zu sagen: einen scharfen sexuellen Beigeschmack), wenn James im Zusammenhang von Evil Urges feststellt: Unsere moderne Gesellschaft sei moralisch höchst verwirrt, und das ziehe sich wie ein Faden durch diese Platte. Die wiederum entpuppt sich im weiteren Verlauf immerhin phasenweise als das My-Morning-Jacket-Album, das man sich in den drei Jahren seit Z herbeigesehnt hatte (sofern man nicht zur wohl größeren Gruppe jener Menschen zählt, die diese Band für ihren Schnarchpop mit Flaming-Lips-Stimme statt zu sich hin lieber direkt zum Teufel wünscht – vergleiche VISIONS 154): hoffnungslos verspult, doch ebenso ausgefuchst arrangiert und von ganz eigenem Charme. Librarian, Two Halves, Thank You Too – solche Songs stehen für My Morning Jacket alter Schule. Der Knackpunkt bleibt: was neuerdings um sie herum passiert. Vielleicht bringt es Touch Me Im Going To Scream am besten auf den Punkt, ein Stück, das es in doppelter Ausführung auf dem Album gibt: als vergleichsweise kompakte, eingängige 70s-Softrock-Nummer über knapp vier Minuten (Part 1) sowie mit mehr als doppelter Spielzeit in der Version uferlos, unter Beigabe von Plastik-Keyboards, Discobass und den – Überraschung! – extra-schrillen Lauten aus den oberen Kehlkopfregionen von Jim James (Part 2). Das kann man mit dem nötigen Humor nehmen, ambitioniert nennen oder gleich als einen Ausdruck völliger Freigeistigkeit verstehen – die Haltbarkeit einer solchen Platte steht trotzdem in den Sternen. Unsere Prognose: Wer Evil Urges in einem Jahr immer noch am Stück hören kann, ohne Songs zu skippen, verbindet entweder etwas sehr Persönliches mit diesem Album oder ist Prince höchstselbst. Wobei – der würde auch skippen, nur an den falschen Stellen.
weitere Platten
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