Tim McIlrath hatte es im Frühjahr angekündigt: Das neue Album sei ein weiterer Schritt in eine neue Richtung. Man werde dynamischer. Nicht mehr voll in die Fresse, sondern leicht gebückt von hinten. So wie in “Entertainment”: simple Punkrockriffs in der Strophe, mitreißend in der Bridge, Mitsingparts (inklusive Stadion-Oos und – Hehes), aber auch mal den Fuß vom Gas und in den Ska-Rhythmus – wie heißt das Adjektiv von Klimax? Klimaktisierend? Rise Against steigern sich von Platte zu Platte, werden musikalischer. Für die einen ist das Ausverkauf, für die anderen Konsequenz. Wer auf “Entertainment” eine wortgewaltige Anklage Dylan’schen Ausmaßes (“Hero Of War”) folgen lässt, hat Eier in der Hose und die Faxen dicke. Wie hat ein großer Poet aus Seattle Anfang der 90er gedichtet? Looking California, feeling Minnesota. Ein anderer aus dem Land der Dichter und Denker schrieb einen Song mit dem Anfang “Ich bin dagegen…” Rise Against erinnern mit ihren Songs an eine Phase in der Rockmusik, als es noch um Inhalte ging; nicht nur um Spaß. Genau aus diesem Grund macht es denselben (und zwar mächtig!), diese Platte in einem Rutsch vor oder nach sportlicher Betätigung zu hören. Tim wäre stolz, wenn er wüsste, wie positiv sich seine neuen Songs auf Laufbereitschaft und Ausdauer auswirken können. Um im (Sport-)Bild zu bleiben: Hier wird das Rad des Punkrocks nicht neu erfunden, die Breaks aus “Collapse (Post-America)”, die Basslinien aus “Long Forgotten Sons”, die Einzähler aus “Re-Education (Through Labor)”, die Ellipsen in “The Dirt Whisperd” – Rise Against stammen aus Chicago, klingen aber wie eine Westküsten-Band. Vielleicht ist das der einzige Nachteil – sie sind zu spät dran. Bad Religion und Offspring haben schon vorgemacht, wie man auch mit Punkwurzeln das Rockpublikum erreichen kann. Für den ganz großen Sprung wird es nicht reichen; dafür haben sie sich selbst einen Gefallen getan: Sie können voller Stolz und mit ernstem Gesichtsausdruck behaupten, dass dies ihre musikalisch beste Platte ist. Und man wird es ihnen nicht übel nehmen. Ach so: Hatte ich erwähnt, dass Tims Stimme am besten ist, wenn sie bricht? Nur schade, dass er die Backings live nicht hinbekommen wird – wer kann sich schon selbst doppeln?
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