Halten wir noch mal die zwei wesentlichen Ereignisse fest, die Mastodon auf ihrem vierten Album verarbeiten. Erstens: wie ihr Gitarrist nach einer Schlägerei mit Kopfverletzungen ins Koma fiel, 2007. Zweitens: wie sich die Schwester ihres Schlagzeugers das Leben nahm, vor vielen Jahren schon. Selbstmord und Nahtod-Erfahrungen also. Halten wir außerdem fest: Um genau das ging es auch auf dem ersten Mars-Volta-Album “De-Loused In The Comatorium”. Dort fiel das Story-Ich, in Anlehnung an einen Freund der Band, nach einer Überdosis Drogen ins Koma und stürzte sich wiedererwacht von einer Brücke… Vielleicht muss man tatsächlich Horrorgeschichten dieses Kalibers erlebt haben, um sich ein Album wie “De-Loused…” oder “Crack The Skye” auszudenken. Sicher ist jedenfalls: Mastodon und The Mars Volta haben erschreckend ähnliche (und ähnlich erschreckende) Schicksalsschläge zu Platten inspiriert, die als die zwei größten Wunderwerke unseres ausgehenden Jahrzehnts in die Geschichte harter, progressiver Rockmusik eingehen werden.
Beide auch deshalb, weil sie stilistisch weit genug auseinander liegen. “Crack The Skye” als das sechs Jahre jüngere holt sich die Stärken nicht aus dem Freejazz und lateinamerikanischer Folklore, sondern direkt im Metal: brachial, wendig, gerissen, von mathematischer Präzision. Und überraschend: Mit “Divinations” hat die Band es fertiggebracht, einen waschechten Hit über dreieinhalb Minuten zu schreiben – und für das Intro des Songs ein Banjo in ihre Welt entführt, um ihm kräftig die Sporen zu gegeben. Auch wenn die übrigen Stücke von “Crack The Skye” weniger knackig und kurzweilig ausfallen, erfüllt das Album doch vollends, was viele sich schon vom Vorgänger “Blood Mountain” versprochen hatten: dass es dieser seit jeher zu Großem berufenen Band endlich gelingt, ihre Kräfte so weit zu bündeln, dass sie sich in einer nicht nur theoretisch, sondern tatsächlich auf ganzer Länge brillanten Platte entladen. “Crack The Skye” ist der Knall, auf den man gewartet hat.
Worin diese Kräfte von Mastodon bestehen, setzt ein Song besser als der andere in Szene. Der Opener Oblivion zunächst, der einführt in die so hitzige wie beklemmende Atmosphäre der Platte. “Quintessence”, das diese Stimmung aufgreift und in einige erstaunliche Tempo- und Rhythmuswechsel übersetzt. “The Czar”, das virtuose vierteilige Herzstück des Albums und seine Geschichte um einen querschnittsgelähmten Jungen, der durchs All und die Zeit zurück ins zaristische Russland reist, wo Sekten und Wunderheiler ihr Unwesen treiben. Darauf das peitschende, hymnische “Ghost Of Karelia” und der mal harsche, mal um Harmonie bemühte Titeltrack. Wenn sich “The Last Baron” dann am Ende zu seiner vollen, 13-minütigen Pracht erhebt; wenn das Schlagzeug donnert, der Bass pocht, die Gitarren Salti vollführen und Troy Sanders energische Stimme zum Schlusskapitel bläst, dann weiß man: Hier ist man Teil eines seltenen, kostbaren Spektakels geworden – und wird es wieder wollen. Ein Triumph!
weitere Platten
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