Ohne seine Vision wäre das hier nicht mehr als ein weiteres Kapitel in der streng riechenden Blues-Bibel. Tweedy hat sich und seine Band schon einmal neu erfunden: 2002 mit Yankee Hotel Foxtrot, einem Album, das einer Frischzellenkur glich und eine so noch nie gehörte, atmosphärisch dichte Band präsentierte, die eine Dekade zuvor noch im Körper einer mittelmäßig spektakulären Alt.-Country-Truppe gefangen war.
Tweedy hat seitdem erkannt, dass mit freigeistiger Kreativität auch aus traditionellen Strukturen aufregend Neues entstehen kann. Ein wenig Blues hat er immer im Gepäck, das Bild des Traveling Man mit geschulterter Westerngitarre malt er neu, in kongenialer Einheit mit dem Gitarristen Nels Cline mitunter auch in ziemlich schrillen Farben. Tweedy und Staples, so folgerichtig diese Zusammenarbeit im ersten Moment scheinen mag, bieten als Songwriter-Duo einen ungewöhnlichen Blick auf die Geschichte des Gospel und der amerikanischen Folkmusik – wie durch ein Prisma.
Die Facetten aus rund 60-jähriger Bühnenerfahrung, den spinnerten Ideen eines Freigeistes wie Tweedy und der Offenheit einer Backing-Band, die sich spontan aus Staples Mietmusikern und Wilco-Mitgliedern zusammensetzt, rechtfertigen selbst die einfältigsten Zweiminüter. Tweedy schickt Staples gesanglich und inhaltlich mit den Eigenkompositionen der Platte auf einen neuen Weg, den sie, wie sie selbst sagt, alleine nie gefunden hätte. Hier ist noch nichts gepflastert, es staubt und ruckelt. Das ist gut, denn nichts ist öder als ein sauber gespielter 12-Takter.
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VÖ: 19.02.2016