Was für eine Feuertaufe. Auf dem Schweizer Sonisphere Festival 2010 mussten Rise Against nach Slayer, Megadeth und Motörhead auf die Bühne – um als vorletzte Band des Abends das Publikum auf den Headliner Metallica vorzubereiten. Undankbarer, so dachte man sich, hätten Rise Against nicht platziert werden können. 50.000 Metalheads wollen Legenden schauen, und plötzlich stehen vier Hardcore-Punks aus Chicago auf der Bühne. Die richtige Band zur falschen Zeit am falschen Ort. Rise Against als Kanonenfutter – das kann nicht gutgehen. Der Drummer zählt an, der Gitarrist fährt mit dem Plektron quietschend über das Griffbrett, gleich werden die ersten Bierbecher nach vorne fliegen. Und dann: ein Raunen durch die Menge. Tim McIlrath singt die ersten Worte. Sie gehen im tosenden Applaus unter. Wohin man auch guckt: Mosher. Headbanger. Kuttenträger, die ihre Arme in den Abendhimmel reißen. Gereckte Fäuste statt Pommesgabeln. Metal hat Pause, 45 Minuten lang. Vierundvierzigeinhalb Minuten, wenn Rise Against damals schon Midnight Hands gespielt hätten.
“Endgame” liegt kein hörbares Kalkül zugrunde
Denn für exakt 30 Sekunden klingt der sechste Song des sechsten Rise-Against-Albums Endgame tatsächlich wie ein Metal-Song. So lange, wie das schmutzige, tiefe Gitarrenriff braucht, um sich zu entfalten und dann in einen dieser augenblicklich zündenden Punk-Refrains zu münden, die Rise Against inzwischen so souverän beherrschen, als hätten sie nie etwas anderes getan und gewollt. Mehr noch als sein Vorgänger Appeal To Reason steckt Endgame voll von solchen Instant-Hymnen, die sich immer dann als solche zu erkennen geben, wenn McIlraths heiser-nasale Stimme in mitreißenden Backing-Chören aufgeht. Mal früher, wie im galoppierenden Opener Architects, mal später, wie im wohl größten Hit der Platte, Satellite. Und auch wenn sich fast jeder Rise-Against-Song bei diesem Effekt bedient, wirken die Stücke hintereinander trotzdem nie formelhaft. “Endgame” liegt kein hörbares Kalkül zugrunde, weder im Songwriting noch kommerziell – was auch erklärt, warum die obligatorische Ballade fehlt, die sich beileibe nicht jede Punkband dieses Kalibers verkneift.
Der Anwalt der Außenseiter
So aber kriegen Rise Against selbst in einem melancholischen Moment wie Wait For Me die Kurve, indem sie immer dann widerspenstig werden und das Tempo anziehen, wenn der Song ins Weinerliche zu driften droht. Do you see the world in different colors?/ Do you see the world in black and gray?, singt McIlrath dort. Alone in your thoughts/ How many others have stood where you stand today? Da ist er dann wieder, der Anwalt der Außenseiter in ihm, dem das Ende der sogenannten Zivilisation gerade recht käme. Der heute die Songs schreibt, in denen er sich früher selbst gerne wiedergefunden hätte, wenn er mal wieder das Gefühl hatte, nirgendwo dazuzugehören. Der als Vater nichts so sehr fürchtet wie den Tag, an dem sich seine Kinder bei Facebook anmelden und er sie machen lassen muss. Die passende Zeile dazu hat er bereits parat: Go on alone because I wont follow/ But this isnt giving up, no, this is letting go.
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