Wenn ich die neue Dredg-Platte höre – und das mache ich inzwischen öfter, als ich anfangs dachte – höre ich zuerst “Kalathat”. Nach zwei Minuten öffnet sich diese kleine Akustikgitarren-Nummer dank der typischen Dredg-Slide-Gitarre in einen größeren Klangraum und ist – ja: schön. Dann kommt meist “The Thought Of Losing You”, das ich inzwischen für eine grandiose Version der neuen Dredg halte, dann die smarte Rocknummer “Upon Returning”. Das passiert, wenn man diese Platte zumindest halbwegs unvoreingenommen hört. Und vielleicht ist das sogar möglich. Ihren speziellen Rocksound, ihr hochwertiges Handwerk und ihre emotionale Hingabe rundete die Band auf “The Pariah, The Parrot, The Delusion” ab. Alles Weitere wäre eine Wiederholunggewesen. “The Ornament” vom neuen Album (Fragmente davon spielt die Band bereits seit Jahren) wirkt da fast wie ein Epilog. Und jetzt etwas völlig Neues. “Chuckles And Mr. Squeezy” ist nicht die beste Dredg-Platte. Sie bietet einige ihrer besten Songs und einige ihrer schwächsten. Denn sie ist ein Versuch. Völlig neue Methoden wagen Dredg, und damit mehr als fast jeder andere – vielleicht sogar mehr, als schlau wäre. Taktiker waren sie nie. Wo wären sie wohl, wenn sie endlich mal das Publikum animieren oder Songs schreiben würden, die Geschäftsmänner von ihnen wollen? Jeder soll selbst entscheiden, ob er hiermit klarkommt. Nur denen, die glauben, ein Anrecht zu haben auf die Entwicklung einer Band, sei gesagt: Willkommen bei den Konservativen. Wir werfen Bands, die anders oder softer werden, Ausverkauf vor; wir fragen Künstler, ohne deren Pioniergeist wir nie unsere Werte hätten, warum sie nicht mehr so klingen wie damals. Maynard J. Keenan sagte mal: “Ich habe mich verkauft, lange bevor du mich überhaupt kanntest. Ich habe meine Seele verkauft, um eine Platte zu machen. Und nun kaufst du eine.” Tschuldigung:
9/12 Jochen Schliemann
Es ist wichtig, dass Bands sich weiterentwickeln – sie sollten sich dabei allerdings nicht selbst aus den Augen verlieren. Klar, die Versuchung ist groß: Wenn ein als unantastbar geltender Studioexperte wie Dan The Automator nicht nur sein goldenes Produzentenhändchen anbietet, sondern gleich noch seine Bereitschaft zum Mitschreiben einiger Songs – wer wären Dredg, da nein zu sagen? Gerade für eine Band wie diese, die immer auf der Suche nach Fortschritt und mit jedem neuen Album darum bemüht ist, neue Facetten am eigenen Sound auszuloten: Da klingt eine Liaison mit dem Mann, der schon den Gorillaz, Peeping Tom und Kasabian in neue Weichen half, schon auf dem Papier hochspannend. Im Ergebnis verliert es aber leider an Dringlichkeit. “Chuckles And Mr. Squeezy” fehlt der Wow-Effekt. Denn das Erste, was man feststellt: Dredg mit Drumcomputer ist in etwa so gewinnbringend, als führe man Achterbahn mit angezogener Handbremse. Natürlich geben die HipHop-artig vor sich hinpumpenden Beats viel Raum für mysteriöse Klangspielereien – und die wiederum machen schon viel Spaß. Und dennoch: Wenn dann doch mal ein echtes Schlagzeug zubeißt, sind sie gleich wieder da, diese unverwechselbaren Dredg-Momente: wo dunkler Pop mit dem nötigen Biss echte Spannung erzeugt; wo die tief melancholischen Melodien in ein Klangbett verwoben werden, dass einem schrecklich schöne Schauer über den Rücken jagt. So bleibt die Kooperation zwischen Dredg und Dan eine zwiespältige Sache: Der schwer greifbaren, umso spannenderen Spookiness in der Musik kommen die aufwendigen Soundscape-Entwürfe des Produzenten fraglos zugute. Die elektronischen Beats hingegen zerstören viel vom Charme dieser Band und lassen sie wie eine zahnlose Version von Depeche Mode klingen. Der Weisheit letzter Schluss hätte wie so oft in der Mitte gelegen.
7/12 Sascha Krüger
“Chuckles And Mr. Squeezy” zeigt, wie auch tiefe Liebesbeziehungen in die Jahre kommen können. Je nachdem, während welcher Albumphase aus der flüchtigen Begegnung mit Dredg eine innige Romanze wurde, könnte die Enttäuschung über ihr neues Album echt ans Herz gehen. Da ist keine Spur mehr vom Sex eines Schlagzeugs mit viel Attack, das Klassikern wie “Crosswind Minuet” kontrapunktischen Reichtum verlieh. Auch das kunstvolle Design von Gitarrenriffs, mit dem Mark Engles auf “Leitmotif” die Gunst des Alternative Proggers gewann, ist zwölf Jahre später seichten Pop-Synthies gewichen. Auf “El Cielo” wurde das Bedürfnis nach mehr Zärtlichkeit im Schlafzimmer noch mit handgemachtem Postrock gewürdigt, heute reicht eine beiläufige Massage auf der Fernsehcouch mit Discounter-Hautöl. Lauwarm und mit cremiger Konsistenz wollen Dredg nunmehr ins Hörzentrum fließen, die zerbrechlichen Vocals bleiben dafür auf Albumlänge der kompositorische Mittelpunkt. Unvermittelte Breaks und Konzeptstrukturen – bislang die Sicherungskästen für den spannenden Sound von Dredg – werden radikal rückgebaut und weichen wie in “Down Without A Fight” einer Retro-Rhetorik, die verträumt Richtung 80er Jahre schielt. Ein Faible für Weltmusik ist vielleicht die letzte Gemeinsamkeit, die dieses Album mit Dredgs Geschichte verbindet. Angesichts eines Songs wie “Before It Began” reicht diese Leidenschaft aber gerade für einen Wochenendtrip auf die Balearen. Ob Dredg ihr Nischendasein als geniale Ladenhüter satt sind oder einfach keinen Bock mehr auf architektonische Kunstfertigkeit haben, ist so schleierhaft wie nebensächlich. Fest steht, dass “Chuckles And Mr. Squeezy” dafür sogar A-ha-Vergleiche in Kauf nimmt und mit einem Schlager-GAU wie “Where I’ll End Up” nächtliche Sendeplätze auf WDR 4 riskiert. Dredg machen sich offenbar nichts aus den Eifersüchteleien ihrer Ex(-Fans). So ist das halt mit neuen Lieben.
5/12 Martin Iordanidis
Ehrlich gesagt: Schon das letzte Dredg-Album war nicht mehr das Wahre – “The Pariah…” hätte keinen Fan aus mir gemacht. Die Wucht von “Leitmotif”, das Entrückte von “El Cielo”, die Hit-Dichte von “Catch Without Arms”: “The Pariah…” konnte alles ein bisschen, aber nichts wirklich besser. Irgendwie ein fauler Kompromiss, dachte ich damals. Heute denke ich: War alles gar nicht so schlimm. Denn erst jetzt ist es richtig schlimm gekommen. Das neue Dredg-Album relativiert das letzte. Dredg haben die Platte aufgenommen, die sie ihre Karriere kosten kann – und man würde sich wünschen, dass sie das Risiko wenigstens bewusst eingegangen wären. Dass hinter dem missratenen Prog-Pop-Experiment “Chuckles And Mr. Squeezy” kommerzielles Kalkül stecken würde statt vier Musiker, die – wie es Schliemann nach dem Interview sagte – “gar nicht begreifen, was sie mit der Platte aufs Spiel setzen. Sie sind wohl die schlechtesten Taktiker der Welt.” Dredg sind Opfer ihrer eigentlich sympathischsten Eigenschaft geworden: dieser gewissen musikalischen Naivität, die ihre ersten drei Alben durchzogen, ja erst möglich gemacht hat, und die jedes auf seine Art zu einem Kunststück werden ließ. “Chuckles And Mr. Squeezy” ist kein Kunststück, es ist ein Dokument des Scheiterns. Die Artrock-Band Dredg ist beim Versuch gescheitert, sich als Düsterpop-Band neu zu erfinden. Weil das Gleichgewicht gekippt ist und Gavins weicher Stimme kein Gewitter aus Gitarre, Bass und Schlagzeug mehr gegenübersteht. Weil die neuen Songs oft minutenlang vor sich hin wabern, ohne je irgendwo anzukommen. Weil man Dredg anzuhören glaubt, dass sie sich lieber Ideen zugemailt haben, als sie zusammen im Proberaum auszuarbeiten. Die ganze Spannung ist dahin. Und man kann sich nicht vorstellen, dass Dredg hiermit nur halb so viele neue Fans gewinnen werden wie alte verlieren. Diese Platte ist in einem Wort: schade.
4/12 Dennis Plauk
weitere Platten
The Pariah, The Parrot, The Delusion
VÖ: 09.07.2009
Live At The Fillmore
VÖ: 06.11.2006
Catch Without Arms
VÖ: 27.06.2005
El Cielo
VÖ: 14.10.2002
Extended Play For The Eastern Hemisphere (EP)
VÖ: 01.01.2001
Leitmotif
VÖ: 30.05.1998
Orph (EP)
VÖ: 01.01.1997