Für Biophilia hat die Isländerin vermutlich mehr konzeptuelle Präsentations- und Distributions-Ideen von 3D-Film bis Museum verworfen, als andere Musiker in ihrem ganzen Leben haben. Übrig geblieben ist ein Miniatur-Kunstkosmos aus interaktiven Apps und Webseiten, ambitionierten Tourplänen und zehn Songs, die jeweils thematisch um ein elementar-naturwissenschaftliches Phänomen kreisen. Die Instrumente dazu hat Björk selbst konstruiert, sie klingen nach Fantasie, abgeholzten Märchenwäldern und durchgeschmorten Laptops, heißen beispielsweise Gameleste und verleihen “Biophilia” eine reduzierte Klangästhetik, die in jeder Hinsicht eine transzendente Synthese von Björks Schaffen ist: Das natürlich-urwüchsige Element ihrer Musik trifft auf zerfahrene Elektronik und den befreiten Geist der Künstlerin. Die Keyboard-Romanze “Cosmonogy” schält sich zeitlupenschön aus ihrem Kokon, die schüttelfrostige Liebeserklärung an das Virus kulminiert in einem Glockenspiel-Klimax, und “Crystalline” ist solange eine Art Feuilleton-Hit, bis der Song in knarzigen Breakbeats ausfadet. “Hollow” klingt sogar, als inszeniere ein vier Jahre alter weiblicher Zirkusclown einen Mash-up aus barocker Bach-Orgel und zerschnittener Filmmusik. Das hört sich solange teilweise extrem anstrengend an, bis man als Hörer die gläserne Decke durchbricht, die einen vom Verständnis dieses visionären Sounds trennt. Hat man diesen Punkt überwunden, weitet sich die eigene Wahrnehmung. Das schafft nur: Kunst.
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