Mehr noch: Die Momente, in denen Interpol einen Spaltbreit Sonne in ihre Songs lassen, avancieren allmählich ebenso zum Trademark der New Yorker wie das immer noch unendlich dichte Geflecht aus flirrenden Gitarren-Fills, weiten Synthie-Flächen, düster pulsierendem Bass und dem großen Drama in der Stimme von Paul Banks, der die schäbig-schönen Bordsteingutenachtgeschichten seiner Stadt wie kein Zweiter in die Welt posaunt. Entsprechend gut gewählt ist ein Titel wie “Same Town New Story”, der dann auch mit musikalischen Mitteln klarmacht, dass Interpol nach anderthalb Jahrzehnten stilistischer Stagnation (nichts für ungut!) bereit sind, ihren Sound sachte aufzubrechen. Das fängt bei der nervös-verspielten Gitarrenidee von Daniel Kessler an und setzt sich über die hakenschlagende Melodieführung von Banks fort. An solchen Details – so schnell man sie an anderen Stellen auf “El Pintor” auch überhören kann – lässt sich ablesen, dass die vermeintlich wertkonservativen Interpol keineswegs auf der Stelle treten. Und: dass sie den Ausstieg ihres “Wunderbassisten” Carlos Dengler nicht nur als Band überlebt, sondern zur Chance genutzt haben, das einzuläuten, was sich eines Tages als langfristige Sound-Evolution bei Interpol entpuppen könnte.
Eigentlich tragisch für Dengler: Als stärkste Interpol-Platte seit “Antics” vor zehn Jahren wirft “El Pintor” nicht zuletzt die Frage auf, ob seine Rolle als Musiker bei aller enigmatischen Aura im Nachhinein nicht überschätzt wurde. Die verbliebenen Mitglieder von Interpol jedenfalls beteuern in Interviews demonstrativ die Aufbruchsstimmung, die sich nach der anfänglichen Ratlosigkeit post Dengler in der Band breitgemacht habe. Wer will, hört in den “Hey hey hey!”-Rufen des starken Openers “All The Rage Back Home” das direkte Echo dieser Trotzreaktion. Und weil “El Pintor” kein weniger dramaturgisch durchdachtes Interpol-Album als die übrigen ist, steigern sich Banks, Kessler und Drummer Sam Fogarino zur Mitte in eine regelrechte Euphorie hinein. Das ist der Stoff, aus dem 2014 die Interpol-Hits gemacht sind, allen voran das zackige “My Blue Supreme” und “Everything Is Wrong” mit seinem ruppigen Start und der verschleppten Rhythmik. Mit dem hochkochenden “Twice As Hard” holen sie am Schluss zum großen, grandiosen Tusch aus. Interpol hätten diese Platte auch “El Pintor” nennen können, wenn es kein Anagram ihres Bandnamens wäre. Denn jeder Pinselstrich sitzt hier.
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