Dass Sleater-Kinney immer noch Punkrock sind, bewiesen sie das letzte Mal auf ihrer Abschiedstournee im Kölner Gebäude 9. Das damals aktuelle Album “The Woods”, nach wie vor eine Platte wie ein Bulldozer, war gerade erst erschienen und wurde in seiner Gesamtheit aufgeführt, obwohl das Publikum lauthals “I Wanna Be Your Joey Ramone” und andere Halbhits von ihnen forderte. Corin Tucker lächelte fast das gesamte Set hindurch, und Carrie Brownstein kickte Löcher in die Luft, die heute noch da hängen. Dass anschließend Schluss sein sollte mit der Band, wurde einem erst so richtig klar, als nach und nach die neuen Projekte der Musikerinnen vom Stapel gelassen wurden – und was für welche. Brownstein entdeckte ihr Schauspieltalent in der Hipstersatire “Portlandia” (in einer Lieblingsepisode engagiert sie Aimee Mann als Putzfrau), gründete mit Mary Timony (und Sleater-Kinney-Schlagzeugerin Janet Weiss) die kurzlebigen Wild Flag (schade um die unveröffentlichten Livesongs!) und schreibt angeblich gerade neue Songs mit der hypertalentierten Annie Clark aka St. Vincent. Tucker gebar in derselben Zeit eine Tochter und zwei Soloalben, während Janet Weiss mit Quasi und Stephen Malkmus um die Welt tourte. Nicht übel. Die Reunion kommt deshalb wie aus heiterem Himmel. Dass “No Cities To Love” tatsächlich schon seit einem Jahr in der Entstehung gewesen sein soll, zeigt bloß, dass nicht nur das Riot-Grrrl-Erbe, sondern auch Geheimnisse bei den drei Rockmusikerinnen bestens aufgehoben sind. Schon bei den ersten Klängen von “Price Tag” ist es so, als wären Sleater-Kinney nie weg gewesen. Die doppelte Gitarrenwand, die Schluckauf-Schreie von Tucker und Brownstein, das wuchtige Schlagzeugspiel von Janet Weiss. Statt des übersteuerten Lärms und der tödlichen Solos von “The Woods” hat hier wieder die ökonomischere Version des Trio-Sounds die Oberhand, der in der Regel nur drei Minuten braucht, um alles auf den Punkt zu bringen. Und auf den Punkt zu bringen gibt es einiges. Dass es mit der Konsumabhängigkeit der modernen Welt nicht so weitergehen kann, dass die Fackel der Aufklärung weitergetragen werden muss, auch wenn sie ab und zu ein paar Bärte versengt, und dass man Kind und Beruf auch als Indie-Ikone bisweilen schwerer unter einen Hut bekommen kann als einem lieb ist. Themen wie Erneuerung, Wiedergeburt, Selbstbewusstsein und Angriffslust dominieren ein Album, das mit jeder seiner Noten Lebenslust atmet, auch wenn die gesellschaftliche Luft gerade stickig ist. We win, we lose/ Only together do we break the rules heißt es in “Surface Envy”, dem Song, in dem Sleater-Kinney ihren Winterschlaf vorzeitig abschütteln. Alles an “No Cities To Love” ist genauso frisch, eingängig und unbeugsam, der wahre Triumph dieser Platte dürfte aber in ihrer ansteckenden Can-do-Message liegen, die Hippies und Punks eine gemeinsame Kampfparole vor die Füße zaubert: “Lets destroy a room with this love.”
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