Die merkwürdigste Szene ereignet sich mitten in Coldplays Neun-Song-Set. Die Band spielt weiter, aber Chris Martin hört auf zu singen, nimmt sich seine Gitarre und verschwindet einfach aus dem Studio. Draußen ist es dunkel, er stoppt ein Taxi, das ihn zu einem erleuchteten Pier fährt, wo er seinen Song zu Ende singt und dabei in die Kamera guckt wie E.T. Anschließend springt er in voller Montur in den Ozean, als sei es das normalste auf der Welt. Und das Erstaunliche ist: im Kontext von “Ghost Stories Live” wirkt so etwas irgendwann wirklich ganz normal. Coldplay haben für sich und einen entrückt lächelnden Fankreis ein Fernsehstudio angemietet und mit kleinen Sternchen und Videoleinwänden voll gehängt, um ihr neues Album zu spielen, bevor es jemand gehört hat. Die Songs sind zum Glück so eingängig, dass einmal hören auch reicht – und um Musikgenuss im traditionellen Sinne scheint es hier auch weniger zu gehen. Vielmehr erinnert die ganze Konstellation an das letzte irdische Ritual einer Sekte, bevor der Heiland oder die Außerirdischen erscheinen. Auch Martins Gestik ist gut darin, verschiedene quasireligiöse Zeremonien zu zitieren, und die Sache mit dem Sprung ins Wasser dockt ganz eindeutig schon an die Sinnwolke von Tod und Wiedergeburt an. Die Musik ist ebenfalls reif für die nächste Karmastufe: “Ghost Stories Live” ist so ätherisch, weggetreten und beige, dass man sich im Verlauf des Albums bereits in Petrus’ Wartezimmer wähnt. Oder zumindest in der entsprechenden Las-Vegas-Show.
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