Wenn es um direkte Worte geht, sind derzeit Alben weiblicher Singer/Songwriter der Standard. Ob Neko Case, Sharon van Etten oder nun Torres: Hier wird sich nicht hinter Metaphern versteckt, es geht zur Sache, nicht weinerlich, sondern selbstbewusst steht frau den eigenen Niederlagen und dem Streben nach Freiheit gegenüber. Die ersten Zeilen auf “Sprinter”, dem zweiten Album von Mackenzie Scott aus Nashville, die sich Torres nennt, lauten: “Heather, I’m sorry that your mother/ Diseased in the brain/ Cannot recall your name/ Heather, I dreamt that I forgave/ But that only comes in waves/ I hate you all the same”. Torres singt diese Worte ruhig, wie beiläufig gibt eine abgestumpfte Gitarre den Rhythmus dazu vor. Doch man spürt, hier brodelt etwas, dass in jedem Augenblick ein anderer Ton angeschlagen werden könnte. Nach 48 Sekunden legt der Song eine kurze Pause ein, danach wird Torres Stimme ruppig, ätzend, böse: “What’s mine isn’t really yours/ But I hope you find what you’re looking for.” Ein Lied darüber, sich nicht zu mögen. Vielleicht sogar zu hassen und diese pseudo-freundlichen “Strange Hellos” (so der Titel des Songs) einfach sein zu lassen. Es sollten im Zeitalter des allgemeinen Daumen-nach-oben-Reckens viel mehr solcher Lieder geschrieben werden!
Musikalisch übernimmt auf diesem und vielen der anderen Songs PJ Harvey die Patenschaft: Kaum vorstellbar, dass “Sprinter” ohne die Vorarbeit der Britin so klingen würde. Dabei geht Torres, die sich nach ihrem Großvater benannt hat, auf “Sprinter” wesentlich weiter als auf ihrem guten, aber noch recht konventionellen Indie-Folk-Debüt. Prägend ist die Zusammenarbeit mit Adrian Utley von Portishead, der Gitarre und Synthesizer einspielte und in dessen Studio in Bristol große Teile des Albums entstanden sind. Man sollte nicht so weit gehen und Torres zur neuen Beth Gibbons deklarieren. Aber in Tracks wie “Son, You Are No Island” wohnt eine ähnliche Unruhe wie in den besten Portishead-Nummern: Unter einem folkigen Dröhnen singt die Künstlerin mit beinahe biblischem Tiefgang über Isolation und Vergänglichkeit. Post-Singer/Songwriter könnte man das nennen. Tracks wie “New Skin” oder “A Proper Polish Welcome” sind zugänglicher, erinnern an die flirrenden Songs von Daughter und werden auch den Fans von The National gefallen. Was besonders auffällt: Diese Lieder sind um Dimensionen besser als die Versuche von Mumford & Sons, ähnlich intensive Singer/Songwriter-Songs aufzunehmen. Wäre Torres in dieser Disziplin Barça, dann sind Mumford & Sons der HSV.
Mit “Ferris Wheel” führt uns Torres in die Welt des Sad-Core, wo weiterhin die Alben der Red House Painters und Bedhead in Dauerrotation laufen. Sieben Minuten lang läuft das Stück, am Ende fragt man sich, wo die Zeit geblieben ist. Kaum kürzer ist das letzte Lied “The Exchange”, ein sehr spartanischer Song mit sanfter Akustikgitarre und einem Folkgesang, der aus ferner Zeit herüberweht. “Mother, father, I’m underwater/ And I don’t think you can pull me out of this”. Resignation kann so schön sein.
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