Wie nähert man sich einem Gesamtkunstwerk und musikalischen Genie wie Bowie am besten? Das umfangreiche Box-Set “Five Years 1969-1973” macht den ebenso einleuchtenden wie sinnvollen Vorschlag ganz vorne anzufangen – schließlich hat Bowie zwischen 1969 und 1973 fünf Studioalben veröffentlicht, deren Einfluss bis heute zu verfolgen ist. Die zweite Generation von Glamrock-Acts wie die jüngst debütierten Travelin’ Jack hätte es ohne “The Rise And Fall Of Ziggy Stardust…” ebenso wenig gegeben wie die erste Welle. Natürlich wendet sich so eine umfangreiche und eben auch teure Box, in der zwölf CDs stecken, deren Artworks den ursprünglichen Vinylveröffentlichungen nachempfunden sind, nicht ausschließlich an Leute, die Bowie bislang nur über seine Hits kennengelernt haben – von denen in der Frühphase seiner Karriere eine ganze Menge entstanden sind, zum Beispiel “Space Oddity”, “Changes”, “The Man Who Sold The World”, “Starman” oder “Five Years”. Aber selbst Bowie-Jünger können hier Songs in Versionen entdecken, die sie bislang noch nicht ihrer Sammlung hinzufügen konnten – auf der Doppel-CD “Re:Call 1”. Hier findet man beispielsweise eine lange nicht erhältliche Version von “Holy Holy”. In Songs wie “Ragazzo Solo, Ragazza Sola”, einer italienischen Version von “Space Oddity”, zeigt sich, dass Bowie am Anfang seiner Karriere um Wahrnehmung kämpfen und künstlerische Integrität hinter kommerziellen Interessen zurücktreten musste. Das Meisterwerk “The Rise And Fall Of Ziggy Stardust…” steckt gleich dreimal in der Box: im Original, in einem von Co-Produzent Ken Scott 2003 angefertigten Mix und in der Version, die Bowie 1972 auf die Bühne brachte, bis er in spektakulärer Weise sein Alter Ego begrub und als Aladdin Sane ein Jahr später wieder auferstand. Spätestens an diesem Punkt hat Bowie Rock von seinem Authentizitätsanspruch erlöst und Acts die Bühne geöffnet, für die ihre Songs so wichtig sind wie die Art und Weise, wie sie diese verkörpern. Ein 130 Seiten starkes Booklet mit Vorwort von Ray Davies (The Kinks) liefert Hintergründe zu jedem Album und der Persona Bowies, die bis heute fluide und nicht gefestigt ist. In Bowie manifestieren sich so schon früh in der Karriere die zentralen Diskurse der Rockmusik: Authentizitätsanspruch auf der einen und Drang zur ständigen Erneuerung auf der anderen Seite. Kein anderer Künstler hat beide Seiten so intensiv bearbeitet wie Bowie. Das gilt für spätere, seltsam anmutende Ausflüge wie Tin Machine wie für seine ersten Alben. Wer sich Bowie nähern will, sollte deshalb hier anfangen.
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