Komm mit mir, wir bleiben nicht zum Sterben hier, singt Jan Windmeier in “Ruperts Gruen” mit der für Turbostaat typischen Dringlichkeit – und vor vielen Jahren hätte man sicher gehen können, dass die Norddeutschen damit auf ein typisches Thema junger Punkbands abzielen: die Flucht vom Lande. Doch über “Bordsteinkantengeschichten” ist die vor 17 Jahren in Husum gegründete Band schon länger hinweg. In der Zwischenzeit hat sie Slogans für Häuserwände oder Casper-Songs geschrieben, sich weiter entwickelt und mehr getraut. Zuletzt zum Beispiel den Schritt Richtung Indie auf “Stadt der Angst” (2013), ein Album, das von Auseinandersetzungen handelt, von politischem Sicherheitswahn und von Geld, Macht und Angst. Mit “Abalonia” ziehen Turbostaat aus der Stadt in die Welt, die Probleme werden dabei aber nicht weniger.
Das macht der Opener “Ruperts Gruen” klar, der die fiktive Geschichte des Albums einleitet und einen gleich mittenrein versetzt: Eine Frau verlässt ihre Heimat, um sich auf den Weg nach Abalonia zu machen. Wo der fiktive Ort ist, bleibt unklar, dass er nur besser sein kann, als das, was sie hinter sich lässt, ist umso schneller klar: Hinter ihnen das Tal und der sichere Tod in irgendeinem Krieg, der nie ihrer war/ Und endlich kehrt die Ruhe wieder ein, die vor Jahren schon verschwand. Nach treibenden Turbostaat-Riffs, einem kurzen infernalischen Intermezzo (Lass sie doch in ihrer Wut zurück!) fährt der Song an dieser Stelle runter, die Ruhe wird vom Schlagzeug und erst gesprochenen, dann energisch gesagten, letztlich zu alarmierenden Gitarren geschrienen Zeilen überlagert: Zukunft, ein Wort, so klar/ Verschwommen in der Zeit/ Angst, Vergessen, vielleicht etwas antiquiert/ Und er sah sie an und wusste, was es war/ Und dass die Schafe es verstehen/ denn alles ist besser als der Tod, sagte er, und küsste sie/ Denn alles ist besser als der Tod. Es vergehen nicht einmal fünf Minuten bis klar ist, dass in diesem Jahr niemand mehr so eindringlich, gut und ohne erhobenen Zeigefinger vertonen wird, was wir gerade in dieser aus den Fugen geratenen Welt erleben.
Die fiktive Reise erinnert nicht nur hier an das aktuelle Flüchtlingsdrama; unterwegs ist sie auch immer wieder für klare Aussagen gut, zum Beispiel in “Der Wels”: Ganz oben in der Mitte wohnt der Hass. Turbostaat schreiten parallel dazu auch musikalisch voran: Indem sie ihren Sound weiter öffnen, setzen sie das textliche Konzept der zehn Songs auch in ihrer Musik um. Zum Beispiel mit dem postpunkigen “Die Toten”, dem zwei Minuten-Intro von “Wolter” oder der fast sechsminütigen Schreckensballade “Eisenmann”. Die Reise endet kurz vor Abalonia, die Angst aber bleibt: Hinter den Wäldern: Abalonia/ Und die Landschaft zieht vorbei/ Drei Stunden Restweg, die meisten zelten hier/ Und starren furchtsam auf ihr Kreuz.
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