Applaus für den Graben zwischen Auftritt und Betretenen. Messer führen dem Postpunk die Theatralik vor.
Um das bis zum Erbrechen zu wiederholen: Gekünstelter als Flanellhemden und breitbeinige Gitarrenposen ist kunstvoller Postpunk nicht, höchstens wahrhaftiger. Wir suchen eine neue Sprache, die uns erzählt und uns entspricht, singt Hendrik Otremba auf dem dritten Album seiner Gruppe Messer, und er klingt, als haben er und seine Mitmusiker schon viel davon gefunden. Die Zackigkeit, für die man solche Kellermusik hört, ist immer noch da, und Otremba schreit dazu so ungeduldig gegen den kahlen Beton, wie man das schon von “Im Schwindel” und “Die Unsichtbaren” kennt. Aber diesmal stellen sich Messer damit ein deutliches Stück vom Publikum weg, um dort ein Drama aus Orgeln, Rasseln, Lust und Schmerz aufzubauen. Kein Raum mit Plattenspieler und Buch mehr, den man als Einladung missverstehen könnte, stattdessen hochtrabendes Theater, das Sachen und Fragen erst mal außer Reichweite platziert. Die Band traut sich sowas seit Konzeptauftritten zu Romy Schneider und Boris Vian, und sie kann es, weil sie weiß, wie Liebe, Angst und Lügen klingen können. Es gibt stückeweise Groove auf “Jalousie”, flickernde Elektronik, Dröhnklaviere, rollendes Getrommel und Punkschlagzeug, alles grandios zweckmäßig, sodass man das Album nicht trotz seiner ganzen Ideen hören kann, sondern deswegen. Arty Gedankenanstoß für alle Feindseligen: Das muss gar nicht jedem gefallen, deshalb ist es ja Punk.
9/12 Britta Helm
Fit fürs Feuilleton: der affektiert-mondäne Düsterpop von Messer, dessen Schwachpunkt Hendrik Otrembas unausstehliche Stimme ist.
Er dehnt die Vokale so lang wie Thees Uhlmann, dichtet mit den großen Gesten eines Blixa Bargeld und will doch so weltmännisch sein wie Paul Banks: Hendrik Otremba. Auch dank seiner Gemälde bereits gern gesehener Gast in deutschen Kunstzirkeln, will es seine Band Messer jetzt noch deutlicher wissen. Mit ordentlich Percussion aufgeladen – ein echter Pluspunkt – lassen sie die New Yorker No-Wave-Szene der frühen 80er und den funky Postpunk von Gang Of Four ebenso aufleben, wie den grauen Berliner Wavepunk der gleichen Epoche. Das war so ähnlich auch auf den zwei Vorgängern und funktioniert in einer Welt der Joy-Division-Bootleg-Shirts super. Was aber bleibt und unverkennbar im Zentrum steht, ist nun mal Otrembas Organ und seine knödelig-sinistren Zeilen voll sexueller Deutungskraft. Es geht um Triebe, Lust und Obsessionen. Otremba vermittelt das mit stoischer Dringlichkeit – aber furchtbar unattraktiv. Wie ein geiler Psychopath, der alles besser weiß und es eh hat kommen sehen. Sehr unangenehm, weil eklig exaltiert. Immerhin wabert die Platte nicht mehr so öde im The-Cure-Nebel wie ihr Vorgänger “Die Unsichtbaren”. Aber wenn der Synthie-Beat “Die Hölle” einläutet und ein 80er Barjazz-Saxophon im Hintergrund erschallt, dann fühlt man sich an vieles von dem erinnert, wofür man die 80er mit Fug und Recht verachten kann.
4/12 Jan Schwarzkamp
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