Casper
Lang lebe der Tod
Text: Vivien Stellmach / Martin Burger
Prinz Dunkel wildert im Industrial: Das Ergebnis ist ein Album zwischen Selbstzweifel, Depression und Können. Um es gleich vorweg zu nehmen: “Lang lebe der Tod” ist nicht das überwältigende Album, das man nach dem einjährigen Aufschub von Benjamin Griffey erwartet hätte. Dass der Indie-Rapper an seinem dritten Major-Album fast verzweifelt wäre, hört man ihm an. Die meisten Songs sind von Industrial-Elementen zerschossen, sie erinnern an Kanye Wests “Yeezus” oder Nine Inch Nails‘ “With Teeth”. Der schaurig-romantische Titeltrack ist der beste, er klingt stimmig und unheimlich morbid. Lass sie gehen baut auf einem schweren Beat von Portugal. The Man auf, holt sich im Refrain gesangliche Unterstützung von Ahzumjot und zieht im Vorbeigehen den Hut vor den Donots: Will die scheiß Nazis gar nicht sehen/ Dann ohne mich! “Morgellon” rechnet unheimlich sperrig mit Verschwörungstheoretikern ab, und “Wo die wilden Maden graben” ist ein Indierock-Song mit Punk-Einschlag. Griffey spielt mit Referenzen, vereint vertraute Melodien und Zeilen zu unbequemen Songs. Die Gitarren in “Keine Angst”, der treibenden Synthie-Pop-Hymne mit Drangsal, erinnern an den düster melodischen HipHop-Meilenstein XOXO, und den beiden abschließenden Songs “Meine Kündigung” und “Flackern, flimmern” wohnt eine traurige Ruhe inne, die an die beiden “Hinterland”-Stücke “Ariel” und “Endlich angekommen” denken lässt: Immer schlimmer, bevor es besser wird/ Greif es nun an/ Mit nicht viel zu verlieren, außer Zeit und Verstand.
9/12 Vivien Stellmach
Ein Buch ist eine langsam gestellte Frage, sagt Peter Høeg. Caspers neues Album ist ein langsam gestelltes Bein. Wenn man sehen kann, wo man hinmöchte, überspringt man solch läppische Hindernisse mit Leichtigkeit. Manche Teenager-Seele stolpert leider mit Heftigkeit. Nur so kann es sein, dass die oberflächlichen Parolen der Band-Karikatur Thirty Seconds To Mars Gehör finden, nur deshalb können dramatisch glotzende Milchgesichter für Videodrehs eingespannt werden. Benjamin Griffey handelt ebenfalls nach diesem Prinzip, wie er da so hustet und prustet, aber manche Ohren, besonders volljährige, sind nun einmal aus Stein gefertigt und resistent gegen heisere Lüftchen über Youtube-Werbemarionetten. Alles muss immer maximales Gewicht haben, jede Aussage steht absolut. Gerne kann Casper Romantitel von Jonathan Safran Foer bis David Foster Wallace zitieren, näher an die Postmoderne rückt es seine dick produzierten Übertreibungen auch nicht. “Sirenen” ist geradezu unerträglich, der Schluss “Flackern, flimmern” eine dreist berechnende Nichtigkeit, Drangsals Feature in “Keine Angst” nervt kolossal, obwohl er nur wenige Zeilen hat. Ergriffen werden sie trotzdem sein, die pubertierenden Massen und Spätzünder. Alle anderen sehen auf den ersten Blick, was so blieb, wie es war, und wo noch Nachjustierung nötig war – vergeblich. Rappen könnte Casper außerdem auch mal wieder. 2017 steht er da wie jemand, der auf Indie komm raus clever und smart sein will. Dabei ist er nur Clever & Smart.
5/12 Martin Burger
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