“Irgendwann ist Einfachheit das Komplizierteste der Welt”, sagte Omar Rodriguez mal. “Wenn du alle Tonleitern rauf und runter gejagt bist, alle Harmonien auf links gekrempelt hast und fast jedes deiner Stücke die Zehn-Minuten-Schallmauer durchbricht, dann fordert dich nichts so sehr heraus wie die eine Sache, der du mit alldem entkommen wolltest: ein stinknormaler Song. Drei Minuten Geradlinigkeit. Das ist die große Ironie.” Dieser Logik folgend haben At The Drive-In mit “Inter Alia” die wohl ironischste Platte des Jahres aufgenommen. Denn die meisten Songs auf ihrem vierten Album landen zumindest nahe an der magischen Drei-Minuten-Marke. 17 Jahre sind seit dem Vorgänger “Relationship Of Command” vergangen. Ein Kind, das an dem Abend gezeugt worden ist, an dem At The Drive-In im niederländischen Groningen ihr letztes Konzert für sehr lange Zeit gaben, ist heute fast volljährig. Weniger bildhaft ausgedrückt: Rodriguez und Sänger Cedrix Bixler, die dank The Mars Volta heute mit allen avantgardistischen Wassern gewaschen sind, haben eben ein bisschen länger als der Rest der Band für die Erkenntnis gebraucht: Songs sind das Maß der Dinge – und drei Minuten die ultimative Herausforderung.
Weil Zeit ansonsten aber relativ ist, hört man “Inter Alia” die 17 Jahre nicht an, die zwischen ihm und “Relationship Of Command” liegen. Nicht, was im Post-Hardcore passiert ist, seit seine Paten-wider-Willen ihr Überalbum in die Welt gesetzt haben, und erst recht nicht, dass diese Welt heute eine andere ist, was eine politisch wetterfühlige Band wie At The Drive-In post-9/11 zumindest in der Theorie beeinflusst haben könnte. Hat es aber nicht: In kryptisch betitelten Songs wie “Tilting At The Univendor”, “Governed By Contagions” und “Torrentially Cutshaw” setzt es von Bixler die gleichen abstrakten Wortmalereien wie früher – berstende Flügel und zuschnappende Guillotinen inklusive. “Nothings gonna stop us now!”, heißt es dagegen vergleichsweise reißerisch in “Holtzclaw”, und man würde sich wünschen, dass At The Drive-In es als Leitspruch für die Zukunft nehmen. Dass “Inter Alia” nicht das letzte gemeinsame Statement dieser Musiker ist, die besser aufeinander abgestimmt scheinen denn je: Rodriguez, der seine Punk-Roots feiert, in dem er bewusst fünf Virtuositätsgänge runterschaltet. Tony Hajjar, dessen Stop-and-Go-Drums das dynamische Fundament bilden. Paul Hinojos, der mit seinem druckvollen Bass oft stärker im Vordergrund steht als zuvor. Und Keeley Davis, der schon bei Sparta einen hocheffektiven Zweitgitarristen hinter Jim Ward abgab und ihn hier würdig ersetzt, hinein bis in die “One Armed Scissor”-mäßigen Backing-Growls des Openers “No Wolf Like The Present”. Wenn “Inter Alia” etwas fehlt, dann die Spannungskurve seines Vorgängers, das Auf und Ab der Stimmungen, wie es “Ghost-Tape No. 9” kurz vor Ende doch noch demonstriert. Aber etwas Luft nach oben muss ja bleiben.
weitere Platten
Diamanté (EP)
VÖ: 24.11.2017
Relationship Of Command
VÖ: 25.09.2000
Vaya (EP)
VÖ: 12.07.1999
In/Casino/Out
VÖ: 17.08.1998
Acrobatic Tenement
VÖ: 19.08.1996