Wovor Dirk von Lowtzow 1993 aus der Provinz geflohen ist, holt ihn heute wieder ein. “Hey Du” erzählt davon in bewusst schlampiger Weise. Die Botschaft aber ist klar: Noch immer werden Menschen beleidigt, weil sie nicht unserem Maßstab von Normalität entsprechen. Es ist der große Verdienst von “Die Unendlichkeit”, dass Tocotronic beim Zurückblicken stets im Heute landen. Dazu gehört auch, über “1993” mit einem Effekt zu singen, der uns derzeit kalte Schauer über den Rücken jagt: Autotune. Aber nicht nur in den beiden Songs der ersten Single zeigen Tocotronic eine neue Seite – wieder einmal. Wer die Band nach dem “roten Album” abgeschrieben hatte, wird jetzt mit der musikalisch vielseitigsten Platte der Bandgeschichte zurückgeholt. “Electric Guitar” etwa unterstreicht, dass Tocotronic weiterhin an die Kraft der E-Gitarre glauben, auch wenn der Song selbst schunkelnde Americana ist. Mit “Unwiederbringlich” wagen sich Tocotronic am weitesten aus der Deckung. Was zunächst wie ein The Notwist-Song mit schönen Taktverschiebungen beginnt, entwickelt sich zu Indie-Kammerpop, dessen Leichtfüßigkeit in krassem Gegensatz zum Text steht: “Dein Tod war angekündigt/ Das Leben ging dir aus/ Unversöhnlich schlich es aus dir hinaus”. Indem Tocotronic einem die Kehle zuschnüren, machen sie jedem Hoffnung, der einen Menschen verloren hat oder sich Gedanken darüber macht, was wäre wenn. Das Leben ist schließlich endlich. Das bekommt so unpeinlich, ergreifend und zugleich klug derzeit nur eine Band in Deutschland hin.
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