Vizediktator
Kinder der Revolution
Text: Ingo Scheel
Hallelujah, liebe Sünde, ich bin dein Kind – es ist schon ein ziemlich dickes Brett, das Vizediktator da anbohren. Marius Müller-Westernhagen könnte man böswillig assoziieren, oder Selig. Im Gesamtkontext jedoch gerät der Blick versöhnlicher, fast euphorisch. “Hollywood Europa” gibt die Koordinaten vor: Hier wird politisch groß gedacht, global angezettelt, dem universellen Alphatier in die Visage gebrüllt. Das passiert aber nicht etwa von den Diskussionstischen des Ortsvereins aus, in der Brust der Revolution, als deren Kinder sich die Berliner Beinah-Alleinherrscher hier inszenieren, schlägt ein äußerst romantisches Herz mit dem Blick fürs Ganze. In den kitschigeren Momenten klingt das wie die Vertonung jener Fotomontage, auf dem das Pärchen mitten im Bullen- und Demonstrationschaos auf der Straße liegt und knutscht: Keine Ahnung, wer gesagt hat, dass es was wert ist, für eine Grenze unsere Liebe zu riskieren. In den besten Momenten, von denen es nicht wenige gibt, entfaltet der Stoff jedoch die alte Magie, die ein paar Akkorden, einem umarmenden Chorus und dem gepflegten Schweinerock-Solo innewohnt. Kreuzberg und Kommerz, Revolte und Romanze, Scherben und Schönheit. Kaum ein Zufall, wie Benni H. hier die Zeilen oft rioreiserisch wegkippen lässt und seinem Die Welt geht vor die Hunde am Ende doch den trotzigen Schlenker des Blues mitgibt. Musikalisch unterfüttert wird das mit einem Mix aus Bloc-Party-Stakkato und erdigem 70er-Straßenrock, der irritierend gut funktioniert. Konsolation Berlin.
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