Mitte der 00er-Jahre war Disco-Punk in aller Munde, und James Murphy von LCD Soundsystem sang davon, dass Daft Punk in seinem Haus spielten, “in the basement”. Im Keller fühlen sich auch die Viagra Boys aus Stockholm am wohlsten. Ihr nicht nur im Gesicht tätowierter Sänger Sebastian Murphy, der sich sonst als – wer hätte es gedacht – Tätowierer verdingt, durchlebt in den Songs der sechsköpfigen Band die ganze Palette menschlicher Emotionen: Er schreit, er lacht, er greint, er flucht, er brüllt und zweifelt. Seine Texte changieren zwischen überdreht und ironisch, pointiert und bitter – unterlegt von einem saftig dampfenden Klischee-Discogroove, bei dem die Sechzehntel immer schön auf der Hi-Hat durchgeschlagen werden und im Hintergrund irgendwo ein Saxofon brummt. Meisterhaft kommt das Konzept der Viagra Boys in “Just Like You” zusammen: Der Traum, den Murphy da zunächst beschreibt, platzt schnell, und die Realität entpuppt sich als genaues Gegenteil davon: Sein Vater ist eben doch ein Psychopath, seine Freunde ein Haufen Drogensüchtiger, die Gesellschaft am Arsch und der kleine Hund vom Anfang, der so gerne ein großer Hund wäre, löst sich in Luft auf. Überhaupt haben die Viagra Boys ein Herz für Außenseiter und Gescheiterte. “Slow Learner” ist eine Hymne an alle Schulversager, “Sports” eine Abrechnung mit dem Fitnesswahn, in dem Murphy einfach alles zum Sport erklärt: morgens Drogen nehmen, kurze Hosen tragen und natürlich Dackel. Das alles wäre nicht so fantastisch, wenn die restlichen Viagra Boys nicht in jedem Song spielen würden, wie LCD Soundsystem immer nur live klingen: wie ein Trupp Punks, die seit drei Tagen nicht mehr geschlafen haben, weil sie einfach immer weiter tanzen müssen. In “Shrimp Shack” steht diese Seite stärker im Vordergrund, weil Murphy nach gut der Hälfte der sechs Minuten zurücktritt und sich aufs komische Tanzen fokussiert, während die fünf anderen den Song ins Endlose verlängern. Oder wie im abschließenden, instrumentalen “Amphetanarchy”, dem ersten Song seit der Einführung der Genre-Bezeichnung Disco-Punk, der diesen Namen wirklich verdient hat und in den Mix Eurodance-Synthies kippt. Bei “Worms” wird dann auch der größte Unterschied zu den zuvor veröffentlichten EPs deutlich: Offenbarten die noch durchaus eine gewisse Limitierung des Konzepts der Viagra Boys, so zeigt dieser Song, dass die Band mehr zu bieten hat. Für den Moment genügt das, um eines der besten Alben des Jahres am Start zu haben.
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