Es war dieses eine Wort auf den Eintrittskarten, das den Ton setzte und sich schließlich als großartiger Irrtum herausstellte: “Bestuhlt” stand auf den Tickets für Iggy Pops Konzert im Hamburger Stadtpark vor einem halben Jahr. Iggy Pop im Sitzen genießen, umgeben von gestutzten Hecken und gefegten Wegen, das klang gediegen, gleichzeitig überaus passend zu seinen damals aktuellen Veröffentlichungen. Die Chanson-Fingerübungen auf “Préliminaires” (2009) und “Après” (2012), die verwehte Abschiedsstimmung von “Post Pop Depression” (2016), vor drei Jahren schließlich “Free”, der klanggewordene Blick ins weiße Licht – all das war der perfekte Soundtrack zum Abgang. Aber nichts da: Dem hanseatischen Publikum feuerte Pop eine Setlist an die Brust, die es in sich hatte: Hits in Reihe, umgesetzt von einer Band, die selbst Homme, Helders & Co. in die Jackentasche steckte, zudem gab’s einen Überraschungsauftritt von Michael Rother, der zusammen mit Über-Fan Pop den Neu!-Klassiker “Hero” wie von einem anderem Planeten aus spielte.
Ein Naturereignis, das lange nachklang, und dessen Echo erst mit der Veröffentlichung von “Frenzy” vor einigen Wochen wieder eingefangen wurde. Ein Klick, ein Kratzen, ein Riff, und gleich in der ersten Zeile singt Iggy Pop von seinem Gemächt und allem darunter – was war das denn zur Hölle? Gleich nochmal hören und rückversichern, dass man nicht gehackt wurde. Aber es stimmte: Iggy Pop haut hier mal eben den wohl brachialsten Song der vergangenen zwei Jahrzehnte raus. Genau genommen hatte er es schon auf “Free” angekündigt, mit seiner Version von Dylan Thomas’ Gedicht “Do Not Go Gentle Into That Good Night”, in dem es heißt: “Old age should burn and rave at close of day, rage, rage against the dying of the light.”
“Frenzy” allein wäre schon Wutpop genug, aber das reicht Herrn Osterberg nicht, im Gegenteil. Zusammen mit seinem Vertrauensmann, dem Gitarristen und Produzenten Andrew Watt, dessen Arbeitspapier so ziemlich alles von Justin Bieber bis Eddie Vedder umfasst, hat Pop eine Art Jahrhundertelf zusammengestellt, die noch größer klingt als die Summe ihrer einzelnen Teile. Chad Smith, Duff McKagan, dazu sind Musiker aus Bands wie Blink-182, Foo Fighters und Pearl Jam an Bord. Stilistisch züngelt Pop in alle Richtungen seines Werks. “Modern Day Rip Off” ist “Frenzy”, Teil 2, “Strung Out Johnny” ein postmodernes “Gimme Danger”, in “Neo Punk” steckt drin, was draufsteht, “New Atlantis” kombiniert Klimakrise mit L.A.-Swagger, das Minuten-Epos “The News For Andy” swingt ironisch zwischen Therapiesitzung und Tanzsaal. Und die Ahnung, dass nach dem gesprochenen “My Animus”-Interlude ein opulentes Outro lauert, sollte sich bestätigen – “The Regency” fegt all das mit so großem Besen zusammen, dagegen wirkt “Won’t Get Fooled Again” wie Kammermusik. Iggy Pop ist zurück, “a dick and two balls” inklusive – seine Diskografie muss augenscheinlich ein weiteres Mal neugeordnet werden. “Every Loser” gehört dabei auf einen der vorderen Ränge, zumindest bis zum nächsten Album.
weitere Platten
Live At Montreux Jazz Festival 2023
VÖ: 24.01.2025
The Dictator (mit Catherine Graindorge)
VÖ: 09.09.2022
The Bowie Years (Boxset)
VÖ: 29.05.2020
Free
VÖ: 06.09.2019
Zombie Birdhouse (Reissue)
VÖ: 28.06.2019
Post Pop Depression
VÖ: 18.03.2016
Après
VÖ: 06.07.2012
Préliminaires
VÖ: 22.05.2009
Skull Ring
VÖ: 29.09.2003
Beat 'Em Up
VÖ: 15.06.2001
Avenue B
VÖ: 17.09.1999
Naughty Little Doggie
VÖ: 22.02.1996