Dank einer strengen Sicherheitspolitik seitens der Plattenfirma hatte VISIONS ganze zwei Mal die Möglichkeit, “Lateralus” vor seiner Veröffentlichung zu hören. Viel zu wenig, denn nur langsam lichtet sich das Dunkel um ein Album, dass seinen Vorgänger in jeder Hinsicht alt aussehen lässt. Die Kompositionen sind noch epischer, die Arrangements vertrackter, der Zugang viel schwieriger. “Aenima” ist eine Ansammlung von Hits gegen dieses musikalische Manifest. Eigentlich bietet “Lateralus” für Tool-Kenner kaum Überraschungen, das Quartett bedient sich lediglich hauseigener Stilmittel, um einen Schritt weiter zu gehen. Dieser allerdings ist so groß, dass er neben heruntergeklappten Kinnladen ebenso die banale Frage verursacht, wie sich ein Musiker all diese Arrangements überhaupt merken kann: 80 aufs Penibelste arrangierte Minuten, die zudem belegen, dass der Instrumentalteil dieser Platte ohne den Sänger geschrieben wurde – Keenan gibt nämlich lange nicht mehr so den Ton an wie früher. Dass das Gesamtbild aus Songs und Interludes homogener als zuvor ist, liegt übrigens daran, dass bei Stücken wie “Parabol” und “Parabola” erst im Nachhinein die Trackmarks gesetzt wurden. Der Einstieg ist dennoch schwer: “The Grudge”, “The Patient” und die erste Single “Schism” präsentieren Tools Stärken zwar in allen Facetten, sind aber extrem zähe Kost. Als zugänglicher entpuppt sich der Mittelteil des Albums mit dem mitreißenden “Parabola”, dem aggressiven Old-School-Tool-Stück “Ticks & Leeches” und dem bombastischen “Lateralis”. Danach entgleitet die Platte in experimentelle Sphären, deren Kern das elfminütige “Reflection” bildet, das auf einer Schlagzeugfigur basiert, um die herum ein atmosphärisches Klanggebilde gebaut wird. Der Hidden Track “Faaip De Oiad”, eine willenlos scheinende Geräuschattacke, stellt dann noch mal sicher, dass jeder verstört aus diesem Hörerlebnis herausgeht. Es wird Monate dauern, diese Platte in ihrer Gesamtheit zu verstehen. Schade nur, dass Tool den gleichen Fehler wie Radiohead mit “Kid A” begehen und eine fundiertere Kritik mit fast lächerlichen Vorsichtsmaßnahmen gegen die Napster-Generation verhindern. Aber sie machen halt was sie wollen, und sonst wären sie wohl auch nicht da, wo sie jetzt sind: Allein auf weiter Flur, ohne Rücksicht auf Verluste. Wie soll das bloß weitergehen?
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