Schon nach dem ersten Durchlauf ist klar: Dieses Album wird die Fangemeinde spalten. “Broken Valley” ist weder so umwerfend simpel wie “River Runs Red” noch so emotionsüberladen wie “Ugly” und auch nicht traurig zerrissen wie “Soul Searching Sun”. Es ist vieles von allem. Und das ist das Schwierige. Wer Fast Food nach dem American Way Of Life erwartet, hat Caputos Soloplatten nicht gehört. Von ihm ist mehr denn je auf einem Life Of Agony-Album zu finden: der Titelsong, eine Hommage an Led Zeppelin im Allgemeinen und “No Quarter” im Besonderen. “No One Survives”, ein Klagelied der höheren Kategorie. “Junk Sick”, das klingt wie Alice In Chains in der “Dirt”-Phase. Auf der anderen Seite gibt es den “Weeds”-Nachfolger “Last Cigarette” mit seinem großartigen Wah Wah-Basssolo, dieses faszinierende Schlagzeug/Gesang-Break in “Don’t Bother”, die Soundgarden’schen Gitarren-Verirrungen in “The Day He Died”. Es sind die Kleinigkeiten, aus denen die vier New Yorker eine schnelllebige Dreiviertelstunde gezaubert haben, die süchtig macht. Melodien, die verzaubern, Momente, die im Kopf hängen bleiben. Emotionen aller Art treffen auf den Zuhörer, wenn er es zulässt. Life Of Agony haben verstanden, woher der Alternative Rock seine Inspiration nahm: aus den Siebzigern. Genauso verstaubt klingt dieses Album. Und das könnte sein großes Problem werden: dass es zwischen den Stühlen landet. Hoffentlich nicht.
10/12 Jörg Staude
Caputo solo lief nie so richtig an, Stereomud noch weniger. Also rauften sich Life Of Agony wieder zusammen und wollen nun beweisen, wie schwer der Kult noch wiegt. Immerhin: Sie machen es sich nicht allzu leicht, verlassen sich nicht auf Bewährtes. Mit dem Groove-Core der Anfangszeit durfte man ohnehin nicht rechnen, aber auch der fein gewobene Alternative-Pop-Rock von “Soul Searching Sun”, dem letzten Lebenszeichen, ist passé. Das ist natürlich einerseits löblich, denn so gerät das Comeback nicht zur nostalgischen Nabelschau. Auf der anderen Seite hat die Band ein paar ihrer wichtigsten Trademarks eingemottet: Auf “Broken Valley” gibt das Riff, nicht der Groove den Ton an, zudem hat sich Caputo inzwischen einen weniger charismatischen Singstil angeeignet. An vielen Stellen klingen Life Of Agony wie eine hüftsteife Version der späten Stone Temple Pilots, das Pendel will oftmals weder nach oben noch nach unten ausschlagen. Knaller gibt es wenige, und die sind zudem gut versteckt am Ende: “Justified” etwa, diese kraftvolle Drama-Peitsche, die an The Cure und – hier haben wir es endlich – selige “Ugly”-Zeiten erinnert. Oder “The Day He Died”, wo alte Stärken mit dem Sound der Moderne kombiniert werden. “I’m learning to start again / To give it another try”, singt Keith Caputo gleich zu Beginn. Man wünscht ihm Glück – und sich selbst zehn Jahre zurück.
6/12 Ingo Neumayer
weitere Platten
The Sound Of Scars
VÖ: 11.10.2019
A Place Where There's No More Pain
VÖ: 28.04.2017
Unplugged At The Lowlands Festival '97
VÖ: 21.08.2000
Soul Searching Sun
VÖ: 09.09.1997
Ugly
VÖ: 10.10.1995
River Runs Red
VÖ: 11.10.1993