Sierra Madre in Kalifornien ist eine Stadt wie aus dem Bilderbuch-Amerika: niedliche Einfamilienhäuser mit zwei Autos in der Einfahrt, militärisch gestutztem Grün vor der Veranda und einer im warmen kalifornischen Wüstenwind flatternden US-Flagge auf dem Dach. Auch Adolescents-Sänger Tony Cadena verschlug es mitsamt seiner Frau und den beiden Kindern in die Vorstadt-Idylle. Nicht, dass der Knabe in den vergangenen 30 Jahren als Sänger in verschiedenen Punk-Bands zu Wohlstand oder Reichtum gekommen wäre, aber sein Job als Lehrer für Hilfsbedürftige, Lernbehinderte oder Sonderschüler hat ihn stets mit mindestens einem Bein am “normalen” Leben teilhaben lassen. Seiner Sozialisation als Mitgestalter der Spät-70er-/Früh-80er-Welle von kalifornischem Punkrock und Hardcore entsprechend, hat Cadena trotz seines bürgerlichen Alltags ein massives Problem mit Autoritäten, konservativem Gedankengut und religiösem Gehorsam. Seine Nachbarn weniger. Klar, dass sich der Smalltalk über den Gartenzaun in Grenzen hält. Auf Kriegsfuß mit seiner direkten Umgebung steht Cadena aber erst, seitdem sich – seiner Ansicht nach – Eltern und Lehrer der Sierra Madre Public School gegen seinen autistischen Sohn verschworen und den heute Achtjährigen in der ersten und zweiten Klasse vom Rest der Grundschüler isolierten. Für Cadena ein Akt zwischenmenschlicher Barbarei und asozialen Verhaltens, den er mit “Presumed Insolent” in ein anklagendes Plädoyer für Toleranz und Fairness verwandelt – lautstark unterstützt von seiner Band, die auch 32 Jahre nach der Veröffentlichung des Debüts wenig von ihrem Talent für Melodie eingebüßt hat und die das smarte Zusammenspiel zweier sich in Harmonie und Dissonanz windenden Gitarren tadellos beherrscht. Songs wie “Forever Summer” gemahnen in Geschwindigkeit und Chören angenehm an frühe Bad Religion und späte Pennywise, während “In This Town Everything Is Wonderful” eine freundschaftliche Brücke nach Nordkalifornien zu Bands wie Swingin’ Utters und One Man Army schlägt. Auch Fans von Keith Morris und dessen zu Recht allseits respektierter Band Off! könnten an “Presumed Insolent” ihren Gefallen finden, vorausgesetzt, sie können auch der weitgehend ironiefreien Anklage von Cadena etwas abgewinnen. Für alle, die sich jemals ungerecht behandelt, missverstanden und machtlos gefühlt haben, ist dieses Album ein ähnlich kathartisches Erlebnis wie für diejenigen, die sich einfach mal wieder rächen möchten. Wenn auch nur zum Spaß.
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