90 Sekunden hebt sich das Intro “Wings” mit choralem, verhallten Gesang in die Höhe, als wollten Alcest gleich noch mal verdeutlichen, wie weit entfernt sich ihre Musik von dem Ort abspielt, den man für gewöhnlich mit Black Metal assoziiert. Der erste Song “Opale” schließt direkt an, und es dauert kaum eine Sekunde, bis die herrlich klingende Lead-Gitarre diese glückselige Melodie spielt. Clean, verhallt und eingängig, so wie man es vom Postrock kennt. Man kann sich alles dazu vorstellen, nur nichts Schlechtes. So oft Multiinstrumentalist und Mastermind Stéphane Neige Paut die Melodie in den fünf Minuten auch wiederholt, sie verliert nie an Wirkung. Am Ende des Songs möchte man ihn eigentlich gleich von vorne hören, da nimmt einen die Gitarre im anschließenden “La Nuit Marche Avec Moi” schon mit auf Reisen. Mit fast identischer Spielzeit funktioniert der Track nach dem gleichen Prinzip: Paut singt die Strophen auf Französisch, die Gitarre bestimmt den Refrain, der Gesang rückt in den Hintergrund. Die Texte spiegeln dabei die vertonte Weite wieder, handeln wenig konkret vom Himmel, von der Schönheit der nahenden Dunkelheit (dem Sonnenuntergang) und vom Meer, das Paut laut eigener Aussage so viel gibt und aus dem er – nicht wortwörtlich – so viel Inspiration schöpft. Um diese mit Ruhe und malerischen Landschaften weiter anzuspornen, nahmen Paut und Schlagzeuger Jean Winterhalter Deflandre “Shelter” auf Island, in Sigur Rós‘ Sundlaugin Studio und mit deren Produzent Birgir Jón Birgisson auf. Zu Gast waren unter anderen Amiina, das ebenfalls mit Sigur Rós verbundene Streicherquartett, und Slowdives Neil Halstead, der die aufbauende Trauerballade “Away” singt. Nur einer von fünf Belegen dafür, dass Alcest auch anders können als in den ersten beiden, oben genannten Songs. Das finale zehnminütige “Delivrance” baut sich in minimalen Schritten auf, wird nach etwa drei Minuten – von einer Postrock-Gitarre herumgerissen – lauter und schwebt die letzten dreieinhalb Minuten mit Streichern und Gesang dem Ende und dem Licht entgegen. Der Titeltrack steckt mit einer unter Gitarrenschichten und Gesang verbuddelten Klaviermelodie tief im Shoegaze. Shelter – ein Unterschlupf, ein Zufluchtsort – steht hier sinnbildlich für einen Ort, an dem man der Realität entfliehen kann – und sei es nur für ein paar Minuten. Über 45 bieten sich auf dem Album an.
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