Slogans mit doppeltem Boden auf der Leinwand des Pop – wer hier Ausverkauf ruft, hat nichts verstanden.
Es ist die Unmittelbarkeit einfacher Sätze, mit denen Max Rieger im zweiten Feldversuch im Albumformat unsere Rezeption schärfen will. “Die Welt wie wir sie kennen/ schmal orchestriert/ und alle, die ich kannte/ sind längst nicht mehr hier”, singt er im dreampoppigen “Ich warte” und entfernt sich damit so weit wie irgend möglich von seinem angestammten Die-Nerven-Indie-Duktus wie seinerzeit Jochen Distelmeyer bei Blumfeld mit “1.000 Tränen tief” von seinen dogmatischen Indie-Fans. Dass sein Solo-Projekt All diese Gewalt auf “Andere” dennoch nichts an Tiefe und – nun ja: Gewalt eingebüßt hat, zeigen Sarkasmen wie die Ode an die Unersättlichkeit “Erfolgreiche Life”, dem das FDP-Credo des ungebremsten Marktes in jede Textzeile eingeschrieben ist. Jede Textzeile, die in die Artpop atmenden Arrangements von “Andere” gepresst wurde, trifft den Hörer unmittelbar dort, wo es weh tut, wenn er darüber nachdenkt. Mittendrin steht mit “Grenzen” ein Song, der auch auf ein Die-Nerven-Album gepasst hätte. Ein Kunstgriff, der alle Technozitate an anderer Stelle relativiert, denn auch “Grenzen” klingt hier wie ein Fremdkörper.
9/12 Carsten Sandkämper
Auf seinem zweiten Soloalbum verliert sich Max Rieger von Die Nerven in eintönigen Soundlandschaften.
“Erfolgreiche Life” beginnt wie ein abgestürztes “Super Mario Bros.”, das ist bestimmt die Stelle auf die Rieger, wie er selbst sagt, in Interviews oft angesprochen wurde. Er nennt es einen offensiven Techno-Verweis und meint, er sei kein Musik-Snob. Aber gerade Musik-Snobs erkennen eine Stelle ohne Bindung zur restlichen Musik. Im hinteren Teil aufgegriffen und das Lied in eine andere Richtung gelenkt, hätte es ein schöner kompositorischer Kniff sein können. Aber “Andere” hat keine Kniffe, es klingt verkrampft, nicht authentisch, gestelzt und monochrom. Wenn das Pop ist, sinkt die Lust, ins Radioprogramm zu schnuppern, noch tiefer, als sie ohnehin schon war. Die Sloganisierung der Texte, die für Rieger Wiederholung von Zeilen und das Ausdehnen von Silben bedeutet, resultiert in einer unangenehmen Ähnlichkeit mit dem 2000er-Popsänger Ben und seinem “Herz aus Glas”. Was auch nicht hilft: dass Rieger sich offenbar damit zufriedengab, für elf Stücke nur eine Melodie zu schreiben und sie in Variationen in den Mittelgrund zu stellen. Oft genug fühlt sich “Andere” an wie der Refrain seines vierten Songs: “Und ich warte, warte, warte, dass etwas passiert”.
5/12 Martin Burger
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