Um das zu bemerken, mussten Amygdala allerdings erst Shows außerhalb ihrer Heimatstadt spielen, in der zwei Drittel der Bevölkerung wie sie hispanoamerikanischer oder spanischer Abstammung sind. Doch in anderen US-amerikanischen Städten standen plötzlich kaum noch Nichtweiße vor der Bühne. Dass Frauen in der Szene unterrepräsentiert sind, war Sängerin Bianca Quiñones natürlich schon vorher aufgefallen. Auf dem Debütalbum “Population Control” polemisierte sie deshalb im Song “Punkerxs Del Barrio” gegen weiße männliche Mittelschichts-Punks (Youll never have the same problems as I do) und eine Szene, von der sie sich ausgeschlossen oder als Aushängeschild für eine Diversität missbraucht fühlte, die gar nicht gegeben war. Die beiden ersten Zeilen des Songs “Semillas”, die Quiñones brüllt, bevor der Rest der Band einsetzt, sind daher drei Jahre später als kämpferische Ansage an die eigene Hardcore-Community und die Gesellschaft insgesamt zu verstehen: They tried to bury us/ They didnt know we were seeds. Dass in einer vorab veröffentlichten Version des Songs das zeremonielle Gebet einer indigenen Guatemaltekin auf einer Benefizveranstaltung für das Standing-Rock-Reservat zu hören ist, macht deutlich, wie ernst es Amygdala damit meinen, marginalisierten Positionen Gehör zu verschaffen. Den Stimmlosen eine Stimme geben, Totgeschwiegenes wie familiären Missbrauch in “I Hate To Say It” thematisieren – neu ist diese Idee nicht. Das macht aber nichts. Erst recht nicht, wenn die Musik dazu so gut ist wie auf “Our Voices Will Soar Forever”. Selbst in den kürzesten Songs unternehmen Amygdala Ausflüge in benachbarte Genres, die den knüppelharten Hardcore-Punk-Sound ein wenig auflockern. Zugegeben, beim Song “It Takes A Village” dreht sich knapp zwei Minuten lang alles nur um Geschwindigkeit und Intensität, doch immer wieder lässt das Quintett die Bewegungsenergie des Hardcore auf behäbig-schwere Metalriffs prallen, schafft kurze Oasen des Wohlklangs zwischen all dem Lärm. Nach viereinhalb Minuten von “BPD Versus Me” hat man sogar kurz die Hoffnung auf ein versöhnliches Ende, wenn der Song mit einer sanften Gitarrenmelodie scheinbar endet – die Band ihn dann aber doch noch in einem Blastbeat-Gewitter und Quiñones gellenden Schreien untergehen lässt. Schließlich ist “Our Voices Will Soar Forever” kein Friedensangebot, sondern eine Kampfansage.
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