Die Geschichte von “The Suburbs” beginnt nicht erst in dem Moment, als Win Butler seine Frau und Mitmusikerin Régine Chassagne ins Auto setzt und sie mitnimmt auf eine Spritztour durch seine Kindheit. Von da an aber nehmen die Dinge Fahrt auf: Butler zeigt Chassagne den texanischen Vorort The Woodlands, in dem er und sein Bruder Will aufgewachsen sind – eine Planstadt im Speckgürtel von Houston, die auf ihrer Website mit Fotos von Schmetterlingen, Malls und planschenden Kindern auf dem Pier eines Yachthafens wirbt. Butlers Erinnerungen an The Woodlands fallen nicht ganz so bilderbuchartig aus. Er denkt an Beziehungen, die er dort hatte, an seine ersten Fahrversuche, Armbrüche und daran, wie sehr er sich aufraffen musste, nicht ständig blauzumachen.
Die ganz normale Monotonie eines nordamerikanischen Mittelstandslebens. Kein Trauma, aber auch kein Traum. Alles ein bisschen ambivalent, alles etwas verwirrend. Als Régine und er zurück in Montreal sind, ist ihnen immerhin eins klar – das dritte Arcade-Fire-Album hat ein Leitmotiv: Vororte. Keine Analyse, keine Wertung, eher eine allgemeingültige Beobachtung am Beispiel von The Woodlands. Eine Platte über den schleichenden Prozess der Entfremdung – von Familie, Freunden und manchmal auch von sich selbst.
Doch wie gesagt, die Geschichte von “The Suburbs” beginnt schon früher. Denn bereits vor ihrer Reise nach Texas hatten Arcade Fire zwei der besten Songs des Albums geschrieben: den melancholischen Titeltrack und das hitzige “Month Of May”. Nur wussten sie damals noch nicht, das beide Stücke auf ihre unterschiedliche Weise dasselbe betreiben – Nostalgie, Vergangenheitsbewältigung – und ein komplettes Plattenkonzept nach sich ziehen würden. Und als wäre der Kontrast zwischen dicht arrangiertem Edelfolk und schnörkellosem Rock’n’Roll nicht groß genug, erweiterten Arcade Fire ihr Stilspektrum im Folgenden um Synthie-Pop-, Shoegaze- und Doo-Wop-Elemente. Musikalisch ist “The Suburbs” ihrem Debüt damit näher als seinem direkten Vorgänger, dessen allgemeine Schwarzseherei immerhin textlich nachwirkt – ohne dabei aber gleich wieder den Weltuntergang heraufzubeschwören. “I feel like I’ve been living in/ A city with no children in it”, heißt es an einer Stelle. “A garden left for ruin by a millionaire inside of a private prison.” Win Butler sagt, er würde seine Zeit in The Woodlands gegen nichts auf der Welt eintauschen.
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