Alles muss raus. Und Jason Shi schreit es laut heraus. Nach dem gemächlichen Vorgänger “Blood Drive”, der inzwischen fünf Jahre alt ist, hat sich offenbar einiges in Shi angestaut, das in den ersten drei Songs von “Survive Sunrise” herausgebrüllt werden muss. So hat man den hauptberuflichen Hochseefischer bislang noch nicht gehört. Bevor sich jedoch jemand Sorgen macht, seine wunderbare Gesangsstimme, die auf angenehme Art an die von Jane’s Addictions Perry Farrell erinnert, ist trotzdem das dominierende Element auf “Survive Sunrise”. Und mit ihr sehnsüchtige Refrains wie der, den er dem titelgebenden Opener spendiert. Dem ersten von drei Songs, die mit brachialen Riffs und vergleichsweise hohem Tempo zeigen, dass ASG verloren geglaubten Biss zurückgewonnen haben. Und mit “Survive Sunrise” ihr bestes Album seit “Win Us Over” (2008) gemacht haben. Vielleicht sogar ihr bis dato bestes.
Großen Anteil daran hatte Shis Soloausfahrt unter dem Namen Wildlights, mit der ihm ebenfalls das Kunststück gelungen ist, den Soundcheck in VISIONS anzuführen. “Wildlights” wäre wichtig für sein Songwriting gewesen, sagt Shi im Interview mit Martin Iordanidis. Eine Aussage, die sich unmittelbar mit dem bereits erwähnten Titelsong sowie den folgenden “Execution Thirst” und “Up From My Dreams” belegen lässt – so viel Spielfreude, so viel stürmischer Drang, so viel Mut, etwas auszuprobieren, ist hier vorhanden.
Es schlägt sich aber auch im wunderbaren Flow dieser Platte nieder. Denn auf den stürmischen Anfang lassen ASG das ätherische “Hawks On The Run” folgen, in dem die Stimmung von “Blood Drive” widerhallt – allerdings um einige Kanten und noch mehr Raum erweitert. Das ist umso erstaunlicher, da ASG erneut mit Produzent Matt Hyde zusammengearbeitet haben, der bereits den lauen Vorgänger betreute. Auf ihn folgt “The Heaven Moon” mit den wunderbaren Zeilen: “That heaven moon is full/ Dare we climb outside?/ Forget what?s left of here?/ Is there room for two?/ Shall we forever hide?” Eskapismus der schönsten Sorte, verbunden mit einer Melodie, die einen ganz weit weg trägt – so heavy kann ein Lied über die Liebe auch klingen.
Am experimentellsten geben sich ASG in “Kubrick Colors”, zugleich der kürzeste Song auf “Survive Sunrise”. Er steht genau in der Mitte der 13 Songs der digitalen Version des Albums, die mit “Tied Tongues” über einen exzellenten Bonustrack verfügt. Sein Text besteht lediglich aus den Worten “strong eyes” und erinnert gleichermaßen an Pink Floyd und Alice In Chains. Die zweite Hälfte des Albums beginnt dann mit “God Knows We”, in dem Shi nochmal aus voller Lunge brüllt, bevor mit dem geshuffelten “Heavy Scars” der heimliche Hit dieser Platte zu finden ist. Am Ende profitiert auch er wie alle Songs dieses Albums von der starken Reibung zwischen den teilweise krachenden Metal-Gitarren, deren Sound aber immer unverkennbar ASG ist, und Shis Gespür für sehnsüchtige, raumgreifende Melodien.