In einer Karriere voller kleinerer Überraschungen hat man immer wieder dann auf den Sound-Tüftler geschaut, wenn es darum ging, aus der verwirrenden Vielseitigkeit des Popuniversums beständigen Sinn zu ziehen. Becks “Odelay” wurde als Wasserscheide feingeistigen Indiepops gefeiert, selbst wenn damals fast die gesamten Tantiemen für die Bezahlung der Samples draufgingen. Die Platte wirkte wie ein Ausflug auf einen Schrottplatz, an dessen Ende irgendwie eine herrliche Skulptur entstanden war. Der plakative Trennungsschmerz von “Sea Change” sechs Jahre später war wieder Schlagzeilen wert, einfach weil man dem kleinen Scientologen nie so viel Gefühl und Weinerlichkeit zugetraut hätte. Nun sind wieder sechs Jahre rum, und Beck kommt mit seinem wohl poppigsten Album um die Ecke, auf dem zehn Drei-Minuten-Songs den Ton angeben. Die Modernität wurde diesmal allerdings eingekauft: Mit Produzent Danger Mouse sitzt jemand hinter den Reglern, der es mit Gnarls Barkley geschafft hat, Beck-verwandte Gimmicks und Retro-Klänge in die Charts zu bringen, ohne sich dafür zu verbiegen. Seine Arbeiten für Sparklehorse, Gorillaz und die Black Keys sind sogar so gelungen, dass sein Mitwirken auf Stücken wie “Gamma Ray” hier schon fast klingt wie eine Geiselnahme. “Modern Guilt” wirkt tatsächlich manchmal so, als hätte hier ein anderer Künstler mit Becks Farben gemalt, der sich das alles an einen Stuhl gefesselt mit ansehen musste. Statt flehentlichem “Nein! Nein!” dürfte die Prozedur aber durchaus im Sinne des Songwriters gewesen sein, wenn man etwa die Begeisterung zum Maßstab nimmt, mit der sich Beck hier zwischenzeitlich echtem Gesang widmet. Auch die Texte sind für seine Verhältnisse erstaunlich gegenständlich und kommunikativ, vorbei die Zeiten freier Assoziation und wilder Wortspiele. “You got warheads stacked in the kitchen”, heißt es in “Walls”, vorher ist von den “ice-caps melting down” die Rede – alles Begriffe, die einem im 21. Jahrhundert etwas sagen dürften. Bei Beck ist der dystopische Albtraum allerdings kalifornisch gebräunt und sonnengeküsst, im Hintergrund säuselt Cat Power, und statt an flammendes Inferno muss man an einen entvölkerten Strand denken. Trotzdem ist “Modern Guilt” eine von den Platten, die man auch nach dem Atomschlag auspacken könnte, wenn längst vergessen worden ist, worum es mal ging.
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