Big Special
Postindustrial Hometown Blues
Mit der Weite des Mittleren Westens hat die urbane Region in den englischen West Midlands zwar kaum etwas gemein, auf das inhaltliche Futter für ihre großen Gesten können sich die Briten mit dem Boss aber einigen: Seit dem Niedergang von Kohle- und Stahlindustrie in den 60ern ging es rapide bergab mit der Region. Die Folgen: hohe Arbeitslosigkeit, Armut und Abbau staatlicher Sozialleistungen.
In diesen Ruinen wachsen Sänger Joe Hicklin und Drummer Callum Moloney in Arbeiterfamilien auf, jobben schon als junge Teenager in Lagerhallen, bei der Müllabfuhr oder im Callcenter und bringen so alles mit, um mit ihrem Debüt ein rauschendes Working-Class-Manifest zur anhaltenden Implosion Großbritanniens zu schreiben. Da es in jüngerer Vergangenheit schon reichlich Wutanfälle zum Thema von Bands wie Sleaford Mods, Bob Vylan oder Idles gab, sollte man “Postindustrial Hometown Blues” eher als schonungslosen Abgesang verstehen, den das Duo mit ungespielter Emotionalität, Hoffnung und Mental-Health-Awareness vorträgt.
Auch wenn im Opener “Black Country Gothic” zunächst stoische Basslines und Hicklins Dialekt-behafteter Sprechgesang einen weiteren The Fall-Wiedergänger andeuten, öffnet das Duo nach zwei Minuten seine Arme und unterbreitet zu massivem Synthie-Getöse seine Sehnsucht nach einer besseren Zukunft – Heartland Rock fürs Black Country. Direkt im Anschluss verspotten sie in “I Mock Joggers” wie auf einem frühen The Streets-Song die eigene Engstirnigkeit, bevor sie mit “Desperate Breakfast” zum Arbeiter-Gospel ansetzen: Darin sitzen Hicklin Schmerzensmänner wie Nick Cave oder Tom Waits auf der Schulter, wenn er seinen Kummer über das reingezwängte Greasy-Spoon-Frühstück und seinen Scheißjob in die Nacht heult.
“Shithouse” dagegen kommt wie ein Punk-gewordener Nervenzusammenbruch infolge (sozialer) Depression daher, und der butterweiche Dark-Country-Song “Black Dog / White Horse” würde bestens zum Gangster-Drama “Peaky Blinders” passen. Zeilen wie “I got ten million reasons to dance a day/ But I got no bricks and mortar” in “Dust Off / Start Again” zeigen schließlich Big Specials Art von Kitchen-Sink-Poesie, die sich auch Idles einst auf die Fahnen geschrieben hatten, bevor sie zu liebesbedürftigen Selbstoptimierern mutierten und ihren Sound umkrempelten. Big Special müssen das aber gar nicht erst, sie sind von Anfang so wunderbar facettenreich wie die Auswahl an Fertigfraß, die in Englands Greasy Spoons in die Fritteuse geschmissen werden.
Das steckt drin: Nick Cave, TV Priest, Young Fathers