Black Country, New Road
Forever Howlong
Text: Carsten Sandkämper / Jonas Silbermann-Schön | Erschienen in: VISIONS Nr. 385

Eine neue Band hat ihre dritte Platte aufgenommen. Klingt komisch (wortwörtlich), ist aber so.
Wer sich ein „Weiter so“ nach dem Ausstieg des Sängers Isaac Woods gewünscht hatte, muss jetzt stark sein. Wie das Livealbum “Live At Bush Hall” 2023 bereits vermuten ließ, hat sich die Band komplett gehäutet, auch die letzten Ausflüge in Post-Core und -Punk hinter sich gelassen und sich auf andere Stärken konzentriert.
Black Country, New Road singen und erzählen komplett aus weiblicher Perspektive, indem sich Tyler Hyde, Georgia Ellery und May Kershaw den Gesang teilen. Melodiöse Strukturen und komplexe Harmoniearbeit stehen im Vordergrund und klingen im Chamber-Pop-Format nach Chanson und Singer/Songwritern wie Fiona Apple und Randy Newman oder auch nach Freak Folk wie Joanna Newsom, Midlake oder Grizzly Bear.
Das ist in vielen Momenten großartiges Musiktheater, gespickt mit Progrock und cleverer Virtuosität. Aufwändig inszenierte Geschichten wie “For The Cold Country” oder “Nancy Tries To Take The Night” treiben Prog und Avantgarde vor sich her, während Hits wie “Besties” und “Happy Birthday” den Londoner Underground von Cardiacs bis North Sea Orchestra zitiert. Black Country, New Road katapultieren sich mit diesem evolutorischen Schritt aus dem Rockkosmos heraus – in ein wesentlich größeres Universum.
Carsten Sandkämper
Der neue Pfad der Band ist gesäumt von allerhand Instrumenten und mäandert fröhlich Richtung Belanglosigkeit.
Um fair zu sein: Was kann noch sonderlich von Belang sein, wenn das Vorgängeralbum emotional so zermürbend war, dass der Hauptsänger die Band nur wenige Tage vor Veröffentlichung verlässt. Ein bisschen Frohsinn in Songs wie der zuckersüßen Freundschaftsode “Besties” kann man Black Country, New Road nach der Zäsur und dem Trennungsschmerz nicht verübeln – den Rest schon.
Denn “Forever Howlong” strotzt mit dem perfektionistischen Produktionsbombast von James Ford nur so vor Arroganz wie ihn Musterschüler*innen britischer Unis versprühen können. Nachdem sie zuvor schon etwa Geigen, Marimba und etliche Blasinstrumente durchexerziert haben, machen sie eben nun eine neue Liebe zu Mandoline, Cembalo und Blockflöte zum Star ihres nerdigen Barock-Kitsch. Alles kein Problem für die Wunderkinder. E-Gitarren und Dissonanz haben sie eh satt.
Dafür gibt es vergebliche Versuche folkige Pop-Momente herzustellen, die so prätentiös daherkommen wie Londoner Kunststudent*innen in Rüschenhemden, die sich gegenseitig für ihre tollen Selbstporträts loben. Diese Maxime lebten Black Country, New Road schon immer, nur ist mit Isaac Woods jener Charme und Wahn verlorengegangen, der sie anfangs so spannend machte.
Jonas Silbermann-Schön
Das steckt drin: Arcade Fire, Kate Bush, Rufus Wainwright
weitere Platten
Live At Bush Hall
VÖ: 24.03.2023
Ants From Up There
VÖ: 04.02.2022
For The First Time
VÖ: 05.02.2021