Die ersten Klänge von “Berlin Hi-Fi” sind schwer, sie hinterlassen lange Schlieren wie ein kräftiger, barrique-ausgebauter Rotwein im Dekanter. Nach wenigen Sekunden die Unterwanderung der Schwermut durch heraufziehenden, flamencoesken Kastagnetteneinsatz – dazu die sich aus den Untiefen ertönende Stimme Paul Wallfischs, der in diesen Momenten nur allzu sehr an Tom Yorke erinnert. Botanica paralysieren den Körper und zielen auf den Kopf, nehmen den Hörer ohne Widerstand für sich ein und werden ihn nicht vorschnell aus dem Netz aus Manie und Depression wieder entlassen. Die Bandbreite pendelt sich erneut zwischen Mark Lanegan, Nick Cave, American Music Club und einer generell morbiden Grundstimmung ein. “Berlin Hi-Fi” erweitert jedoch den prototypischen Einsatzbereich von Botanica-Alben von der gefühlt idealen CD für den verkaterten Morgen danach, wenn die roten Samtvorhänge auch bei 30 Grad im Schatten besser zugezogen bleiben, da man sich eh den Weg durch Whiskey-Flaschen und Schnapsleichen bahnen müsste. Jetzt blitzt auch der Moment auf, wenn die Wolkendecke nach dem Frühjahrsregenguss auseinander bricht und etwas Licht durchscheint. Nicht euphemistisch ist das, aber immerhin zugänglicher. Botanica durchqueren ihren eigens geschaffenen Stilkosmos. Mit ihrer Version eines breit angelegten Rocksongs wie “I Desire” könnten sie sich irgendwann den Weg ins Radio bahnen, allerdings müsste der Sender schon Suicide FM heißen. Der einzige Ausbrecher aus dieser Grundstimmung ist “How”, eine Nummer, bei der die so oft zitierte Zigeunerader der Band so ungebändigt, wahnwitzig und starrsinnig rockend ausbricht, dass man sich als verwirrter Hörer bei einer zünftigen Stammesfeier in den Karpaten wähnt. Daneben verwundert, dass auch Wallfischs deutsche Stammbaumabteilung seine allzu deutlichen Spuren auf “Berlin Hi-Fi”, dem vierten Album der Band, hinterlassen hat: Nicht nur, dass es in Berlin und Brooklyn produziert wurde – man spricht deutsch im Titeltrack. So konsequent setzen im Jahr 2006 wahrscheinlich nur wenige den Anspruch von Independent in Musik um. Und das beweist uns wieder einmal die Ausnahmestellung Botanicas.
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