Boygenius
The Record
Text: Nina Töllner | Erschienen in: VISIONS Nr. 361
Dass sich Julien Baker, Phoebe Bridgers und Lucy Dacus – quasi die Dreifaltigkeit der jungen US-Indie-Songwriterinnen-Generation – zusammengetan haben, bleibt ein echter Coup. Wie blendend sich die drei von Boygenius verstehen, die ihrer 2018er-EP nun doch ein Album folgen lassen, unterstreicht das Video zu “Not Strong Enough”. Darin schaut man den Freundinnen beim Herumalbern im Freizeitpark, im Museum oder beim Baseballspielen zu. Angesichts der uneitlen „Goofiness“ und herzerwärmenden Intimität meint man, es mit der liebenswertesten Supergroup aller Zeiten zu tun zu haben.
Songwriting und Gesang teilen sich die Drei schwesterlich. Oft wechseln sie sich bei den Strophen ab, verändern so immer wieder subtil die Schattierung der Songs – von der rohen Emotionalität Bakers über die Zerbrechlichkeit Bridgers bis zur warmen Direktheit von Dacus. Natürlich verweben sie ihre Stimmen wieder zu eindringlichen und berückenden Harmonien, etwa im erwähnten “Not Strong Enough”. Dessen Zeile “Always an angel/ Never a god” steigt in einem kathartischen Crescendo gen Himmel auf und verweist auf die gleiche Schieflage wie der Bandname: der Mann als Genie oder Gott, die Frau als (hübsches) Beiwerk. Selber scheuen sich die Künstlerinnen nicht, männliche “Genies” zu entzaubern. So konstatiert Dacus in der akustischen Skizze “Leonard Cohen“: “I am not an old man having an existential crisis/ In a Buddhist monastery/ Writing horny poetry”. Und Bridgers rechnet in der Klavierballade “Letter To An Old Poet” erneut mit einem toxischen, älteren Ex ab: “You’re not special, you’re evil/ You don’t get to tell me to calm down”.
Wie so oft bei den drei Songwriterinnen geht es um Selbstbehauptung und Emanzipation, ums emotionale Überleben und die Komplexität menschlicher Beziehungen, situativ und anschaulich erzählt. Dazu verschmelzen die Girl-Genies neben ihren Stimmen auch ihre – zugegebenermaßen nicht meilenweit voneinander entfernten – Stile zu einem organischen Amalgam. Die äußeren Ränder stecken sie gleich zu Beginn ab, indem sie das Andächtige der A-Capella-Country-Ode “Without You, Without Them” mit dem spröden Rocker “$ 20” wegblasen, dessen Noise- und Schrei-Finale Bridgers Handschrift trägt. Es folgt mehr Indierock zwischen Melancholie und zartem Grunge, vor allem aber Folk(-Rock)-iges, mit psychedelischer Schattierung und elektronisch-orchestralen Ausläufern.
“The Record” birgt keine großen Überraschungen, sondern das, was in den Credits steht: Baker, Bridgers, Dacus – und das das ist eine Menge.
Das steckt drin: Courtney Barnett, Big Thief, Case/Lang/Veirs
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